Am Mittwoch haben Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen und sein Dienstherr, Innenminister Thomas de Maizière (CDU), in Berlin den »Verfassungsschutzbericht 2013« präsentiert. Sowohl im »rechts-« als auch im »linksextremistischen« Milieu sei das Personenpotential rückgängig, konnte de Maizière feststellen. Trotzdem hätten in beiden »Phänomenbereichen« die Gewalttaten massiv zugenommen. Gegenüber 2012 seien fremdenfeindliche Übergriffe um 20,4 Prozent angestiegen. »Statistisch wird jeden Tag in Deutschland mindestens eine fremdenfeindlich motivierte Gewalttat begangen«, heißt es in dem Bericht. Keine Gefahr scheint hingegen mehr von rechtsterroristischen Strukturen auszugehen: Hatte es im BfV-Bericht für das Jahr 2012 noch etwas gewunden geheißen, daß »potentielle Nachahmer« durch die Taten des NSU »motiviert« werden könnten und ein – wenn auch »geringes« – Personenpotential Terrorismus »als Handlungsoption in Erwägung zieht«, ist diese Gefahr nun, ein Jahr später, gebannt: »Aus den Reaktionen des rechtsextremistischen Spektrums zum NSU-Komplex können jedoch keine unmittelbaren Anhaltspunkte für ein mögliches rechtsterroristisches Handeln abgeleitet werden.« Das ist nichts Neues: »Keine Anhaltspunkte« für Rechtsterrorismus hatte das BfV schon einmal solange gesehen, bis der NSU aufflog.
Laut Verfassungsschutzpräsident Maaßen gibt keine Anhaltspunkte für gesetzeswidrige Spionagetätigkeiten der NSA - in Deutschland -...
Im Hinblick auf die Spionageabwehr, für die der Verfassungsschutz ebenfalls zuständig ist, wies de Maizière bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2013 besonders auf Russland und China hin. Von diesen Ländern gehe die stärkste Spionagetätigkeit in Deutschland aus. Was den US-amerikanischen Geheimdienst NSA angeht, gibt es laut Verfassungsschutzpräsident Maaßen keine Anhaltspunkte für gesetzeswidrige Spionagetätigkeiten in Deutschland. Diese Aussage wurde von Vertretern der Linkspartei und der Grünen heftig kritisiert.
Das war schon der Punkt ab Sommer 2013: Seitdem hat man immer wieder betont, dass "in Deutschland" keine "gesetzeswidrige" Spionagetätigkeit der NSA stattfinden würde: Okay - Whistleblower Edward Snowden und andere haben uns alle ja darauf hingewiesen, dass die sensiblen Daten aus Deutschland oft auch an den Atlantikknotenpunkten der Überseeleitungen - eben im Ausland - von NSA und GCHQ abgegriffen werden - aber es gibt ja auch noch den kabellosen Datenverkehr per Handy und Funk - und da hat der SPIEGEL ja jüngst öffentlich gemacht, dass beispielsweise konkret auf einer bayerischen Wiese, unter der hessischen Erde oder mitten in Berlin die Spione der NSA sitzen - direkt in unserer Nachbarschaft - aber natürlich auch im Ausland. Das zeige ein Satz von NSA-Dokumenten, die der SPIEGEL und SPIEGEL ONLINE jetzt veröffentlichen. Die Dokumente stammen aus dem Fundus des Whistleblowers Edward Snowden, sie sind quasi seine Deutschland-Akte. Die deutsche Verfassung wird darüberhinaus eben auch mittels Spionage-Maßnahmen im Ausland bedroht ... - und eben dann nicht im konkreten Geltungsbereich des Grundgesetzes und der Verfassung - aber mindestens ebenso bedrohlich ...: Diese Art Stellungnahmen mit dem Grundtenor: ..."in Deutschland keine gesetzeswidrigen Aktivitäten" ... - sind also nichts weiter als ein Griff in die semantische Sprachtrickkiste - dann hat man eben seine Ruhe: ... dreht Euch wieder um ... ...
Aus diesem Dossier geht hervor: Deutschland ist für den Geheimdienst der wichtigste Standort in Europa. In mehreren Einrichtungen werden Daten zusammengetragen und ausgewertet. Von Deutschland aus abgefangene Daten dienen offenbar auch dazu, Terrorverdächtige zu töten.
Und über all das hat der Herr Verfassungsschutzpräsident und sein Dienstherr keinerlei Anhaltspunkte: Es bleibt für den Bundesbürger dabei: Es ist zum Verrücktwerden - die Bundesregierung stellt sich einfach blind - und was offiziell nicht ist - ist einfach nicht - auch wenn es die Spatzen von den Dächern pfeifen ...
Diese Veröffentlichungen des SPIEGELs liegen also auch im Interesse der Bundesregierung: Die hat bisher vergeblich bei den amerikanischen Partnern um Aufklärung gebeten - und weiß angeblich bis heute nicht genau, was die NSA in Deutschland treibt - bzw. hat für eine "Spionagetätigkeit in Deutschland" keine Anhaltspunkte. Auch deshalb haben Sicherheitsbehörden und Politiker den SPIEGEL um Einsicht in die Snowden-Dokumente gebeten. Journalisten sind aber vor allem der Aufklärung der Öffentlichkeit verpflichtet - so der SPIEGEL - und deshalb zeigt er das Dossier öffentlich. Lediglich Namen, E-Mail-Adressen, Telefonnummern und - in begründeten Einzelfällen - konkrete Spionageziele hat der SPIEGEL in den Dokumenten zum Teil geschwärzt.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) war nach den NSU- und diesen NSA-Affären sehr umstritten
Vor drei Jahren, direkt nach Auffliegen des NSU, hatte selbst die FAZ die Zerschlagung des Verfassungsschutzes gefordert. Davon ist natürlich längst keine Rede mehr, im Gegenteil: Es gibt wieder gut zu tun für Maaßen und seine Spitzel, V-Leute und verbeamteten Burschenschaftler.
Und dabei hat das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) schwere Jahre hinter sich: Der Skandal um den »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU), die Aktivitäten der amerikanischen NSA auf deutschem Boden – und ein Geheimdienst, der im ersten Fall wohl vielfach Hilfestellung leistete, im zweiten eng kooperiert haben soll – und in Zukunft noch enger zusammenarbeiten will. Hans-Georg Maaßen, Präsident des BfV, sollte in diesem Amt aufräumen und »Vertrauen zurückgewinnen«.
Mit dem Vertrauen hat es noch nicht so ganz geklappt, doch in anderer Hinsicht war der neue Mann durchaus erfolgreich: Seine Behörde arbeitet wieder wie gehabt - die Herren haben ihre Augenklappen wieder aufgesetzt: Nichts sehen, nichts fühlen, nichts hören - und auf ganz bestimmten Augen entgegen aller Betäuerungen sich einfach "blind" stellen - und an der Hauswand entlangtappen - und doch nach innen ein paar lukrative Deals und Budget-Aufbesserungen abschließen: eben alles wieder wie gehabt ... (und die Stellenanbote bei den privaten Sicherheitsdiensten und Detekteien halten sich auch in Grenzen ...).
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ist - mit den Worten des deutschen Innenministers Thomas de Maizière (CDU) - nun wieder ein "unverzichtbares Element unserer wehrhaften Demokratie". Das stimmt - vorausgesetzt, die 2776 Bediensteten der Behörde erfüllen das ambitionierte Anforderungsprofil: Schutz der Verfassung, des Staates sowie der Freiheit und Sicherheit der in Deutschland lebenden Menschen. Angesichts der vielfältigen Gefahren und Bedrohungen wäre es unrealistisch und anmaßend, eine hundertprozentige Erfolgsbilanz zu erwarten. Das tut auch niemand. Es sollte aber zumindest der Eindruck entstehen, dass die Behörde alles unternimmt, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Davon kann allerdings kaum die Rede sein.
Auf der Habenseite steht das, was in die Kategorie Anti-Terror-Kampf fällt. BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen und seine Belegschaft dürfen stolz darauf verweisen, Deutschland sei auch Dank ihrer Arbeit von islamistischen Attentaten verschont geblieben. Dass die Bundesrepublik "weiterhin Ziel von Anschlagsplanungen" ist, darf man dem Verfassungsschutz-Chef ruhig glauben. Problematisch ist und bleibt das Spiel mit abstrakten Terrorwarnungen allerdings trotzdem, weil damit seit den verheerenden Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA auch in Deutschland immer wieder Gesetze auf Kosten der Bürger- und Freiheitsrechte verschärft - und Aufstockungen der eigenen Budgets durchgesetzt wurden ...
Edward Snowden ist eine Instanz jenseits der Verfassungsorgane
Davon profitieren alle Sicherheitsdienste, allen voran der für die Auslandsaufklärung zuständige
Bundesnachrichtendienst (BND) und sein Pendant im Inland: der Verfassungsschutz. In dessen aktuellen Bericht kann jeder nachlesen, wie intensiv die nationale und internationale Zusammenarbeit inzwischen ist. Nie war der Informationsaustausch so eng und einfach wie heute. Oft wurde dabei gegen geltendes Recht verstoßen. Beispielhaft dafür steht das vom Bundesverfassungsgericht beanstandete Gesetz zur Anti-Terror-Datei.
Mit den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden ist inzwischen eine Instanz jenseits von Justiz und Parlament in Erscheinung getreten, mit der sich der Verfassungsschutz auseinandersetzen muss. So massiv die durch zahlreiche Dokumente belegten Vorwürfe des früheren Geheimdienst-Mitarbeiters sind, so wortkarg fallen die Reaktionen des Verfassungsschutzes und des zuständigen Innenministers aus. Bei der Suche nach dem Stichwort "NSA" stößt der neugierige Leser im 384 Seiten dicken Jahresbericht auf zwei dürftige Hinweise.
Verniedlichung von Amts wegen
Die erste Erwähnung des unersättlichen US-Geheimdienstes findet sich im Kapitel "Linksextremismus". Konkret geht es um Anti-NSA-Demonstrationen und Veröffentlichungen. Die zweite und letzte Einlassung zur NSA steht im Abschnitt "Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten". Die Aktivitäten des US-Geheimdienstes hält Verfassungsschutz-Chef Maaßen trotz der massenhaften Veröffentlichungen aus dem Snowden-Fundus - u.a. eben durch den SPIEGEL - s.o. - nach wie vor für "Mutmaßungen und Spekulationen", wie er bei der Präsentation seines Jahresberichts sagte.
Im Text selbst heißt es, die gegen die NSA und andere westliche Dienste erhobenen Vorwürfe "verdeutlichen das mögliche breite Spektrum neuer Formen der Spionage". Sätze wie dieser sind nichts anderes, als die von Amts wegen erfolgte Verniedlichung des größten Spionage-Skandals der Gegenwart. Der Verdacht, diese verharmlosende Form der Auseinandersetzung mit der NSA-Affäre sei politisch gewollt, liegt auf der Hand.
Als Frühwarnsystem hat die Behörde versagt
Mit ein wenig Fantasie kann man zwischen den Zeilen sogar das schlechte Gewissen des Inlandsgeheimdienstes herauslesen: "Wir stärken die Spionageabwehr", heißt es unter Verweis auf den Koalitionsvertrag zwischen Konservativen und Sozialdemokraten. Und vom fraktionsübergreifenden NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages erhofft sich der Verfassungsschutz "weitere Impulse". Regierung und Parlament sollen also nachholen, was der Inlandsgeheimdienst versäumt hat. Dabei ist der Verfassungsschutz seinem Selbstverständnis nach das "Frühwarnsystem". Im Falle der NSA hat dieses System in der Vergangenheit versagt. Und es spricht im Moment wenig dafür, dass es künftig besser wird.
Quellen: Deutsche Welle, junge welt, Neue Westfälische v. 19.06.2014 (Titelseite), SPIEGEL-ONLINE