Das "Wort zum Sonntag" wird 60 Jahre alt. Es ist "die populärste Kanzel der Republik" (schreibt rtv) und nach der "Tagesschau" die zweitälteste Sendung im Deutschen Fernsehen. Und bei soviel populärer Volksmission via TV möchte ich es nicht versäumen, im "impuls für die woche"dieser Sendung besondere Aufmerksamkeit zu schenken - und natürlich auch mit einem Kerzlein zum Geburtstag zu gratulieren ...
Zum Jubiläum nun setzte die ARD das Wort zum Sonntag in die Halbzeitpause des WM-Spiels England-Italien - so dass die Sprecherin 6-7 Millionen Zuschauer hatte, fast 3 x so viel wie 2011 der Papst Benedikt ... - also durchaus prominent platziert ... Aber - es kam wie es kommen musste: Die eifrige Theologin Verena Maria Kitz erntete mit ihrem Beitrag bei den fußballtrunkenen Zuschauern viel Spott und Hohn, weil sie das "fachmännische" Fußball-Sprech auf ihre Art und Weise interpretierte - nämlich hauptsächlich mit dem Begriff "Seitenwechsel" ("Huch, die spielen ja aufs falsche Tor," ... - aber gleich hinzufügte ... "tun sie natürlich nicht, sie
wechseln halt die Seiten" [das scheinen die meisten "Fans"überhört zu haben ...])... - aber dieser Vergleich löst bei geistlich ungeübten Zuschauern - die wohlgemeinte Vergleiche gar nicht erst verstehen wollen - eben gleich Häme und Unmut aus - und sie twittern aus allen Rohren ...
Aber: wie heißt es schon in der Luther-Bibel: „Ihr sollt das Heilige nicht den Hunden geben und eure Perlen sollt ihr nicht vor die Säue werfen, damit die sie nicht zertreten mit ihren Füßen und sich umwenden und euch zerreißen.“ (Matthäus 7,6 LUT).
Ich habe nun zum 60. dieses "Geburtstags"-Wort zum Sonntag zu ungewöhnlicher Sendezeit dokumentiert in Wort und Bild - und auch ein paar Reaktionen darauf ...
Machen Sie sich also selbst ein Bild - bilden Sie Ihre Meinung dazu - und nehmen Sie dieses Für und Wider als den "impuls für die woche" ...
"Seitenwechsel" - das ARD-"Wort zum Sonntag" vom 14.06.2014 in der Halbzeitpause des WM-Spiels England - Italien
Halt, warten Sie bitte noch einen Moment, bevor Sie gleich das Bier holen für die zweite Halbzeit. Die Fußballspieler in Manaus, die hören ja schließlich auch gerade die Kabinenpredigt von ihren Trainern und werden ins Gebet genommen! Und für Sie gibt es hier das Wort zum Sonntag.
Ich möchte Ihnen etwas sagen, zum Seitenwechsel. Der kommt ja gleich nach der Pause. "Ja logisch, Seitenwechsel", denken Sie jetzt vielleicht, "aber das ist doch das Normalste der Welt?!" Also ich, ich bekomme am Anfang der zweiten Halbzeit immer erst mal einen Schreck. Und denke: Huch, die spielen ja aufs falsche Tor. Tun sie natürlich nicht, sie wechseln halt die Seiten. Dafür müssen sich die Spieler umstellen. Dann steht vielleicht nicht mehr der eigene Fanblock hinter dem Tor des Gegners. Da sind jetzt die Fans der anderen. Gegen die müssen sie anspielen. Und erleben am eigenen Leib: So ein Seitenwechsel, durch den werden Vor- und Nachteile neu gemischt, und genau darum geht es mir.
Beim Fußball gehört so ein Seitenwechsel einfach dazu. Aber wie wäre es, wenn es so einen Seitenwechsel nicht nur auf dem Spielfeld gäbe? Und auch woanders Vor- und Nachteile neu gemischt würden? Etwa bei Ihnen zuhause, vor dem Fernseher. Wenn etwa die, die sonst immer das Bier holen müssen, in der zweiten Halbzeit gemütlich sitzen bleiben können und von den anderen bedient werden. Und umgekehrt. Seitenwechsel, den könnte ich mir noch viel brisanter denken. Ich stelle mir vor: Die Fußballverantwortlichen in Brasilien, die müssten mit den Bewohnern der Favelas, der Elendsviertel die Seiten tauschen – mit den Leuten, die sie für den Stadionbau vertrieben haben. Und sie müssten selbst jetzt im Niemandsland hocken.
Oder noch globaler, so ein Seitenwechsel: Ich denke an den Kaffee, mit dem sich viele von uns in den langen Fußballnächten wachhalten. Der kommt oft aus Brasilien. Wenn wir hier mit den Arbeitern dort auf den Kaffeeplantagen die Seiten wechseln müssten. An ihrer Stelle schuften für einen Hungerlohn, und sie würden für uns hier gemütlich Kaffee trinken? Uff, so ein Seitenwechsel, der jagt mir einen richtigen Schrecken ein. Dadurch würde ich am eigenen Leib merken: Vor- und Nachteile sind total ungleich verteilt auf der Welt. Im Kopf weiß ich das auch jetzt, aber ich bekomme die Ungerechtigkeit nicht zu spüren und genieße die Vorteile.
Eine Spielregel zum Seitenwechsel wie beim Fußball – die gibt es in unserer Welt halt nicht. Die kann ich mir nur selbst geben: Indem ich die Perspektive wechsele und mich in die anderen hineinversetze. Und mich frage: Was kann ich tun für mehr Ausgleich auf der Welt? "Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen" (Matthäus 7, 12) so hat Jesus in der Bibel diese Spielregel beschrieben. Und hat sich daran gehalten.
Gleich ist die Halbzeitpause zu Ende. Wie wäre es mit einem Seitenwechsel schon mal bei Ihnen zuhause? Das mit dem Bierholen bietet sich doch an. Wenn Sie in der ersten Halbzeit dran waren, dürfen Sie jetzt gemütlich im Sessel bleiben. Und wer vorhin entspannt im Sessel saß, saust jetzt los und holt Wasser oder Bier! Und dann wünsche ich Ihnen zusammen viel Spaß bei der zweiten Halbzeit!
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... und hier die Reaktionen ...
Ihr Wort zum Sonntag erntete im Netz Spott statt Anerkennung. Sechs Millionen saßen in der WM-Halbzeitpause vor dem Bildschirm. Jetzt äußert sich Verena Maria Kitz erstmals selbst zu ihrem TV-Auftritt.
Am Samstag hatte die Frankfurter Pastoralreferentin ihre große Stunde. In der Halbzeitpause des WM-Spiels England gegen Italien durfte sie in der ARD das Wort zum Sonntag sprechen. Mit sechs Millionen sahen erheblich mehr Menschen zu als es sonst beim Wort zum Sonntag üblich ist.
Kitz‘ Versuch, die Zuschauer direkt beim Thema Fußball abzuholen, ging allerdings weitgehend daneben. Eigentlich wollte sie das Thema "Seitenwechsel" aus dem Fußball auf die Welt übertragen. Doch bei Twitter erntete sie nur Spott und Hohn. Vor allem ihr Einwurf "Huch, die spielen ja aufs falsche Tor", löste Kopfschütteln aus.
Auch berichteten zahlreiche Medien über den Vorfall. In die Kommentar mischte sich neben Kritik und Verständnislosigkeit auch Mitleid. Tenor: Der Entschluss der Sendeleitung, das Wort zum Sonntag in die Halbzeitpause eines Fußballspiels zu legen, gehört sicher nicht zu den Glücklichsten.
Nach einem Bericht von bild.de hat sich die Geistliche nun erstmals selbst zu dem Geschehen geäußert. Dass ihre Ansprache so viele nicht erreichte, bedauert sie. Doch für ihr Anliegen setzt sie sich erneut ein: "Auch wenn wir feiern und Fußball schauen, dürfen wir die Menschen in Brasilien nicht vergessen, in den Favelas und auf den Kaffeeplantagen", so Kitz. Auf sie wolle sie aufmerksam machen und dazu anregen, sich in diese Menschen hineinzuversetzen.
Als Christin sei es ihr wichtig, die Perspektive von denen einzunehmen, "die an den Rand gedrängt werden, die den Preis zahlen – jetzt bei der WM, oder auch sonst von unserem Wohlstand. Damit wir etwas tun für mehr Ausgleich in der Welt."
rp-online
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So viel Aufmerksamkeit bekam Verena Maria Kitz (46) sicherlich noch nie. Die Frankfurter Pastoralreferentin hielt am Samstagabend in der Halbzeitpause des Fußball-WM-Spieles Italien gegen England das „Wort zum Sonntag“. Und schon schauten sechs Millionen WM-Gucker zu!
Am Wochenende gelang die Theologin ganz ungewollt zu übermäßigem „Ruhm“: Ihre zahlreichen Fußball-Metaphern im „Wort zum Sonntag“ wurden Kult im Netz. Sie sprach zu Beginn über den Seitenwechsel beim Fußball, der sich auch auf das eigene Leben übertragen lässt und zu mehr Gerechtigkeit führen soll. Besonders ihr Satz „Huch, die spielen ja jetzt aufs falsche Tor“ zum Seitenwechsel nach 45 Minuten lies die ballbegeisterten Twitter-User schmunzeln.
BILD fragte Verena Maria Kitz – wie fühlt es sich an, vor sechs Millionen Menschen das „Wort zum Sonntag“ zu sprechen?
Die Theologin: „Es ist eine tolle Chance, so viele Menschen (6,2 Mio.) mit der Botschaft des Evangeliums zu erreichen. Klar ist die für manche ungewohnt. Aber ich freue mich, wenn viele über einen Seitenwechsel in der Welt und mehr Gerechtigkeit nachdenken.“
In einem Statement äußert sich Kitz noch näher zu ihrem „Wort zum Sonntag“:
„Ich freu mich drüber, dass so viele Menschen dieses Wort gesehen und die Botschaft vom Seitenwechsel gehört haben. Schade, dass der Einstieg bei vielen nicht ankam. Wichtig ist mir: Auch wenn wir feiern und Fußball schauen, dürfen wir die Menschen in Brasilien nicht vergessen, in den Favelas und auf den Kaffeeplantagen! Ich will auf sie aufmerksam machen, anregen, dass wir uns in sie hineinversetzen, so sehr das auch erschrecken kann.
Mir ist wichtig als Christin, dass wir die Perspektive einnehmen von denen, die an den Rand gedrängt werden, die den Preis zahlen – jetzt bei der WM, oder auch sonst von unserem Wohlstand. Damit wir etwas tun für mehr Ausgleich in der Welt.“bild.de
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Die katholische "Wort zum Sonntag"-Sprecherin Verena Maria Kitz aus Hofheim (Hessen) nimmt die Kritik an ihrer Andacht vom vergangenen Samstagabend ernst. Sie arbeite dran, dass die Botschaft des Evangeliums "immer noch verständlicher" werde, schreibt Kitz in einer Stellungnahme.
Kitz hatte in der Halbzeitpause des Fußball-WM-Spiels England gegen Italien eine Andacht zum Thema "Seitenwechsel" gehalten. Für deren sprachliche Form und Präsentation gab es Lob, vor allem aber Kritik in sozialen Netzwerken und Medien. Verena Maria Kitz hatte den Begriff "Seitenwechsel" als Metapher für einen Perspektivwechsel verwendet und als Beispiele familiäre Beziehungen und das globale Gefälle zwischen Armut und Reichtum genannt.
"Ich freu mich drüber, dass über sechs Millionen Menschen dieses Wort gesehen und die Botschaft vom Seitenwechsel gehört haben", schreibt Kitz in ihrer Stellungnahme. "Auch wenn wir feiern und Fußball schauen, dürfen wir die Menschen in Brasilien nicht vergessen, in den Favelas und auf den Kaffeeplantagen."
Als Christin sei es ihr wichtig "dass wir die Perspektive einnehmen von denen, die an den Rand gedrängt werden, die den Preis zahlen – jetzt bei der WM, oder auch sonst von unserem Wohlstand."
Die Kritik an ihrem Wort zum Sonntag nehme sie aber "selbstverständlich ernst", schreibt Kitz. "Die Botschaft des Evangeliums ist mir wichtig und deswegen arbeiten wir selbstverständlich daran, dass sie immer noch verständlicher wird."
evangelisch.de
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Ein trostloses Ding
Das jüngste „Wort zum Sonntag“ in der ARD und der Spott über Predigerin Verena Maria Kitz: gemein und hässlich. Ein Lob zum Montag!
Ich musste in der ARD-Mediathek nachhören, was sie sagte, die Theologin Verena Maria Kitz bei ihrem „Wort zum Sonntag“ in der Halbzeitpause in der Nacht zum Sonntag. Ich sah sie nur, schaltete den Ton ab – und dachte: Was für eine aufgekratzte junge Frau im roten Blusenlook, mit absolut gefühlsneutral gekämmtem Haar, mit predikantinnenhaft einladenden, armrudernden Gesten.
Aber ich holte Wein aus dem Kühlschrank und wollte lieber telefonieren. Doch tonlos nahm sie sehr ein. Ihr Job war schließlich in dieser Nacht der schwerste aller denkbaren. Wie hätte sie uns einnehmen können, wenn man doch nur auf FußballFußballFußball geeicht ist?
Musste sie nicht scheitern mit ihrem Anliegen, die Dinge der Armut in Brasilien nicht zu vergessen, ja, einen „Seitenwechsel“ zu imaginieren – und die „Ungerechtigkeit spüren“ zu lassen: Dass man in einer sicheren, guten, materiell alles in allem in trockenen Tüchern befindlichen Welt lebt?
Sie machte es okay, muss ich sagen. Und sie muss gewusst haben, dass man sie bespötteln wird. Dass man über sie lästert, weil sie so kindergartenpusselig ein „Huch“ ausbrachte, als sie ihren Schrecken beschrieb, dass Mannschaften nach der Halbzeit die Richtung ihres Tordrangs wechseln. Ja, das ist nicht nur naiv gewesen, vielleicht war es sogar absichtslos dumm und bescheuert.
Kirchensonntagsfröhlichenthemmt
Ebenso ließe sich viel monieren, dass diese Frau wie eine kirchensonntagsfröhlich-enthemmte, also verklemmte Frau (es hätte auch ein Mann sein können, fürwahr) sich benahm. Wie sie die Augen aufriss bei Worten wie „Ungerechtigkeit“ und „spürte“ – das war fast so alarmiert posierend wie Petra Gerster bei einer ihrer Moderation von „Heute“ im ZDF.
Es war, so gesehen, ohnehin ein trostloses, weil falsches Ding, dieses „Wort zum Sonntag“ in den Fluss des Fußballerischen zu verlegen. Glaubt in den Amtskirchen wirklich irgendeiner, diese Sendung böte irgendjemand Inspiration, ein Innehalten im Gerede und Getue des Tages? Nie schien das „Prinzip Hoffnung“ dringlicher in Erinnerung zu rufen als in diesen Minuten: Möge doch einer ihre Botschaft hören wollen.
In Wahrheit, und zwar in der tiefsten Bedeutung des Jesus von Nazareth, den sie leider erst im dritten Drittel ihrer knapp vierminütigen Ansprache erwähnte, war ihre Predigt, wie fast alle mit amtskirchlichem Herkunftsstempel, verfehlt, weil sie gefühlsarm wirkte. Nicht, dass Frau Verena Maria Kitz keine Empfindungen hätte, aber sie verströmte so dieses typisch protestantisch [Anmerkung S!NEDi:Frau Kitz ist katholisch!] Durchgefühlte: eine Sentimentalisten des kritischen Weltempfindens, nicht eine, die wirklich zürnt und hadert.
Ihre Rhetorik in Gänze lebte – wie die so gut wie aller „Wort zum Sonntag“-KollegInnen – von der inneren Fadheit, die im gastronomisch-kulinarischen Bereich aufkommt, macht man sich über einen Teller Hafenflocken her, zubereitet ohne Zucker oder Salz, auf jeden Fall gewürzlos.
Kastriertes Evangelentum
Auf ihre „Seitenwechsel“-Predigt hin betrachtet, heißt das: Dieses Evangelentum, und sei Jesus von Nazareth noch so sehr angeführt, ist ein kastriertes. Allein schon, dass sie so animationsselig sprach, ohne wirklich zum Zuhören zu verführen, sprach gegen sie. Warum keine echten Drohungen? Mahnungen, dass sonst Heimsuchungen, Pest und Schwefel drohten, mache man sich ihre Gedanken nicht zu eigen?
Hat man als – so im expliziten Sinne gottlos, wie man eben in einer säkularen Welt eben sein darf – BürgerIn nicht das Recht, mit biblischem Fundament bedroht zu werden? Etwa: Liebe Zuhörer, Fußball mag toll sein. Aber wenn Sie weiter so dumpf vor sich hin genießen, was sie glauben zu genießen, kommen Heuschreckenplagen über sie, Verderbnis und Fäulnis? Ihr Charakter ist der von Zeloten und Zöllnern – denn ihr Tun, besinnungslos fußballorientiert, ist auch nicht besser als das jener Gefängniswärter in den Katakomben von Rom, die die Gutwilligen den Löwen zum Fraße vorwarfen?
Nein, so sprechen sie nicht. Und solange sie das nicht tun, solange sie uns mit Mildheit und Güte in Ödnis stürzen, werden wir für sie – allenfalls – Mitleid aufbringen: Auf dass sie Fußball endlich verstehe und nicht erschrickt, wenn nach der Halbzeit ein „Seitenwechsel“ nichts bedeutet, als dass man auf das andere Tor sich zu bewegen sucht. Diese Predigt war – man seufzt im Sinne aller Heiligen der Bibel – trostarm, vor allem erbarmungslos nichtig.
Kommentar „Wort zum Sonntag“ von Jan Feddersen in der taz