Endlich ist es quasi "leibhaftig" gefunden worden: Das alljährliche "Sommer-Loch": Ein Loch fraglichen Ursprungs mitten in der Tundra Sibiriens ...
Ob dieses Sommerloch jemals die Berühmtheit des "Schlangenungeheuers" von Loch Ness erreichen wird - ist fraglich. Seit Jahrhunderten wird immer wieder von Sichtungen eines Seeungeheuers im Loch Ness berichtet - immer just zur nachrichtenarmen "Saure-Gurken-Zeit" der internationalen Presse. Und dieses Seeungeheuer wird der Einfachheit halber schlicht "Nessie" genannt ... Aufgrund dieser Berichte ist Loch Ness ein beliebtes Ziel für Touristen. Zentrum des Nessie-Tourismus ist Drumnadrochit. Durch das angeblich vorhandene Ungeheuer ist Loch Ness der bekannteste aller schottischen Seen.
Jedoch diesem tatsächlichen "Sommer-Loch" in Sibirien diesmal wird "wissenschaftlich" rasch "zu Leibe" gerückt und sein vielleicht vermeintliches Geheimnis wird schnell entblättert werden und jedem kleinen Zauber beraubt: Was eben noch als Wunder scheint - wird nun plötzlich einer thermogeographischen "Gas-Eruption" zugeschoben - und "gutt iss" ...
Es ist 80 Meter im Durchmesser und so tief, dass man aus der Luft den Boden nicht sieht: In Sibirien hat sich ein gigantisches Loch aufgetan. Laut Medienberichten soll nun ein Forscherteam das rätselhafte Phänomen untersuchen.
Die Luftbilder wirken spektakulär: Mitten in einer grünen Landschaft klafft ein gewaltiges Loch. Es ist kreisrund und seine Wände so glatt, als hätte sich ein gigantischer Bohrer ins Erdreich der sibirischen Halbinsel Jamal gefressen. Wie die "Siberian Times" berichtet, hat das Loch einen Durchmesser von 80 Metern, seine Tiefe sei unbekannt. Wissenschaftler befänden sich bereits auf dem Weg, um das Phänomen vor Ort zu untersuchen. Zu dem Team sollen zwei Experten vom Zentrum für Arktisstudien und einer vom Kryosphären-Institut der Russischen Akademie der Wissenschaften gehören.
Woher das Video stammt, das auf der Plattform LiveLeak auftauchte, ist ebenso unbekannt wie die Ursache des Lochs. Spekulationen aber gibt es jetzt schon reichlich. Sie reichen von einer Methan-Explosion über einen Meteoriteneinschlag bis hin zur Landung von Außerirdischen.
Ein Sprecher der örtlichen Regierung hat laut "Siberian Times" aber bereits ausgeschlossen, dass ein Meteorit die Ursache war. Schaut man sich Satellitenbilder der Halbinsel an, fällt auf, dass Erdlöcher dort alles andere als selten sind. Vielmehr wirkt die Region aus der Luft betrachtet wie ein Schweizer Käse: Die Karstlandschaft ist übersät von Löchern, von denen viele kreisrund sind. Dennoch dürfte fraglich sein, ob es sich bei dem Loch um einen sogenannten Karsttrichter handelt: Der Wall rund um den Rand legt nahe, dass das Erdreich aus dem Boden geschleudert wurde.
Die Region ist reich an Gasvorkommen; laut "Siberian Times" liegt nur 30 Kilometer vom Krater entfernt das Bowanenkowo-Gasfeld, das größte seiner Art auf der Halbinsel Jamal. Die Zeitung zitiert die russische Arktis-Forscherin Anna Kurchatowa mit der Vermutung, dass es sich um eine Explosion eines Gemisches aus Gas, Wasser und Salz gehandelt habe. Das Eis im Permafrostboden sei im Zuge des Klimawandels geschmolzen, und mit ihm gefrorenes Methan. Hinzu komme Salz, da die Region einst von Meerwasser bedeckt war. Das Gas könne dann aus dem Boden geschossen sein wie der Korken aus einer Champagnerflasche.
Löcher der Arktis sind oft Folge von Erwärmung: Taut das Eis im Boden, öffnet das Schmelzwasser Kanäle. Mit dem Eis verliert der Boden seinen Kitt, wird porös und bröckelt. An Stellen, wo sich viel Wasser sammelt, kann der Brei endgültig seinen Halt einbüßen und kaskadenartig einstürzen. Manche Seen der Arktis entstehen auch, weil regelrechte Eiskegel im Untergrund tauen. Und auch Gas kann eine Rolle spielen.
Hellblauer See
Das Besondere am nun entdeckten Krater scheint sein Rand, den ein kleiner Erdwall säumt. Es handele sich wohl um Auswurf, sagte ein Geoforscher der "Sibirian Times". Eine hitzegetriebene Explosion wie bei Vulkanen sei hingegen auszuschließen. Eine Gasblase könnte die Ursache sein: "Möglicherweise hat sich Erdgas seinen Weg durch tauenden Permafrost gebahnt und eine mechanische Eruption an der Erdoberfläche bewirkt", meint der Geoforscher Frank Günther vom Alfred-Wegener-Institut.
Das Loch werde sich wohl zu einem sogenannten hellblauen See entwickeln, sobald sich Wasser darin sammelt. Die Seen sind mit bis zu 15 Metern besonders tief und bekannt dafür, Erdgas auszustoßen. "Hellblaue Seen befinden sich ausschließlich nahe der westsibirischen Gasförderanlagen", sagt Günther.
Russische Forscher hätten rund um hellblaue Seen Explosionswälle aus Erde dokumentiert. Ein Beweis sei das aber nicht: "Natürlich kann man aus der Ferne nicht die Ursachen dieses Phänomens klären", kommentiert Günther seine Ferndiagnose. Vor Ort haben Wissenschaftler laut "Sibirian Times" nun beobachtet, dass das Eis am Boden des Kraters taut. Auch an den Kraterwänden rinne Wasser hinab. Womöglich glitzert in dem Schlund also bald ein See mit hellblauem Wasser.
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