Früher war das so ein Schlagwort: Die Politiker mit ihren "Sonntagsreden" ... Damit war nicht gemeint, dass sie etwa eine "Bürgerpredigt" halten wie neulich der Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder in einer Hannover-Kirche - nein - das sollte die "Sonntagsmeinung" deutlich kennzeichnen im Gegensatz zur "Alltagsmeinung" - und so konnte man sich sogar selbst und den Flügeln der eigenen Partei die Bälle zuspielen - und das Wahlvolk verunsichern.
Was Bundespräsident Gauck da treibt - besonders auch seit Beginn 2014 - gerade auch zu den vielen inbrünstigen Worten zum Ausbruch des 1. Weltkrieges vor 100 Jahren - mit noch innigeren Umarmungen als sie dem Papst jemals gelingen könnten - vor der Weltpresse - mit den heutigen Repräsentanten einiger ausgesuchter ehemaliger Feindstaaten ... - und mit schluckendem Tremolo der Rührung und der Scham ... - und der "Würde" ...
Und doch erinnere ich dann rasch die "Alltagsreden" des Bundespräsidenten bei der Münchener Sicherheitskonferenz und ähnlichen Verlautbarungen zu seinem Norwegen-Besuch neulich - kurz vor den Kriegsausbruchs-Krokodilstränen, als es jeweils sinngemäß aus dem gleichen Munde des ehemaligen Theologen hieß: "Deshalb gehört letztlich als letztes Mittel auch dazu, den Einsatz militärischer Mittel nicht von vornherein zu verwerfen" ...
Da hört man ganz hinten am blutroten Horizont das Säbelgerassel und das Dschingderassabumm und das gefährliche Grollen - und man sieht im Gleichschritt all die Pickelhauben des legendären "Augusterlebnisses" von 1914 ...Es fragt sich nur: Wie hat er das gemeint - der Herr Bundespräsident, von dem ich mich ein weiteres Stück distanzieren muss ... - als ein von diesem Staat mit Bundesadler urkundlich ausgewiesener gewissensgeprüfter Kriegsdienstverweigerer aus 1969 - vor 45 Jahren ...
Aber Reinhard Mey sang schon vor Jahren in dem Song SEI WACHSAM:
“Wir ha’m ein Grundgesetz, das soll den Rechtsstaat garantieren."SEI WACHSAM" - ganzer Text hier
Was hilft’s, wenn sie nach Lust und Laune dran manipulieren,
Die Scharfmacher, die immer von der Friedensmission quasseln
Und unterm Tisch schon emsig mit dem Säbel rasseln?
Der alte Glanz in ihren Augen beim großen Zapfenstreich,
Abteilung kehrt, im Gleichschritt marsch, ein Lied und heim ins Reich!
„Nie wieder soll von diesem Land Gewalt ausgehen!“
„Wir müssen Flagge zeigen, dürfen nicht beiseite stehen!“
„Rein humanitär natürlich und ganz ohne Blutvergießen!“
„Kampfeinsätze sind jetzt nicht mehr so ganz auszuschließen.“
Sie zieh’n uns immer tiefer rein, Stück für Stück,
Und seit heute früh um fünf Uhr schießen wir wieder zurück!”
Man fragt sich warum ein Bundespräsident, zumal noch bei einem Auslandsaufenthalt immer häufiger den Einsatz militärischer Mittel ins Gespräch bringt. Wann hat Gauck jemals zu irgendeinem Konflikt auch nur einen Gedanken zu einer friedlichen Lösung von Problemen in der Welt eingebracht. Es spielt nahezu so fahrlässig mit dem Gedanken von Militäreinsätzen wie einstmals Willem Zwo (s. Beitrag u. Video zur Bundespräsidentenwahl 2012 ...) Bild: S!NEDi|photo|karikatur |
Da beklagt der Bundespräsident in Belgien „das eklatante Versagen der Diplomatie“, „eine maßlose Propaganda“ und eine „unerhörte Verteufelung des Feindes“ als Ursache für den Kriegsausbruch.
Und in Frankreich appellierte Joachim Gauck, Gegensätzlichkeit in Vielgestaltigkeit zu überführen, Antagonistisches in Komplementäres zu verwandeln, man müsse sich stets aufs Neue darauf verpflichten, den politischen Willen nicht zu verlieren, der aus alten Feinden Partner und Freunde mache: „Entwickeln wir gemeinsam eine Kultur des Vertrauens, für eine Gegenwart und eine Zukunft des Friedens und der Freiheit – in ganz Europa.“
Wo war das Bemühen, „Antagonistisches zu überwinden“, seit Ausbruch des Ukraine-Konfliktes?
Warum hat eigentlich der Bundespräsident nicht auch zum 1. August eine Gedenkrede gehalten, als vor 100 Jahren das Deutsche Reich Russland den Krieg erklärte? Immerhin hat Russland im Ersten Weltkrieg auch Millionen an toten Soldaten und Zivilisten zu beklagen. An die Kriegserklärung Großbritanniens am 4. Augst hat der Bundespräsident hingegen auf dem Soldatenfriedhof St. Symphorien bei Mons gedacht.
Warum reiste der Bundespräsident zur Fußball-WM nach Brasilien und warum boykottierte er die Olympischen Spiele in Russland? Wo ist er gegen eine „maßlose Propaganda“ gegen Russland oder gegen eine „Verteufelung“ Putins eingetreten. Wo war das Bemühen zu erkennen, eine Kultur des Vertrauens zu schaffen als Putin im Dezember letzten Jahres das Schloss Bellevue besuchte und Gauck ihm die kalte Schulter zeigte. Er polemisierte danach sogar gegen die „Russlandversteher“. Statt nach friedlichen Lösungen im Konflikt des Westens mit Russland zu suchen, forderte er die Nato auf zu ihren „Bündnisverpflichtungen“ zu stehen.
Und wie anders als bei den kalendarisch erzwungenen Gedenkreden redete der Bundespräsident etwa auf der Münchner Sicherheitskonferenz anfangs dieses Jahres: „Manchmal kann auch der Einsatz von Soldaten erforderlich sein… wenn schließlich der äußerste Fall diskutiert wird – der Einsatz der Bundeswehr –, dann gilt: Deutschland darf weder aus Prinzip “nein” noch reflexhaft “ja” sagen… Als äußerstes Mittel ist dann der Einsatz von Militär möglich…“
Und wenige Tage vor den Gedenkreden zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges konnte man noch folgendes von unserem Bundespräsidenten hören: „In diesem Kampf für Menschenrechte oder für das Überleben unschuldiger Menschen ist es manchmal erforderlich, auch zu den Waffen zu greifen. So wie wir eine Polizei haben und nicht nur Richter und Lehrer, so brauchen wir international auch Kräfte, die Verbrecher oder Despoten, die gegen ihr eigenes Volk oder gegen ein anderes mörderisch vorgehen, zu stoppen. Und dann ist als letztes Mittel manchmal auch gemeinsam mit anderen eine Abwehr von Aggression erforderlich. Deshalb gehört letztlich als letztes Mittel auch dazu, den Einsatz militärischer Mittel nicht von vornherein zu verwerfen.“
Selbstverständlich fordert Gauck nicht unmittelbar Militäreinsätze, aber er weiß genau, dass mit seinen Sätzen das Militärische – oder um es deutlich zu sagen „Krieg“ – als Mittel der Politik der (mehrheitlich ablehnenden) Bevölkerung wieder eingewöhnt werden soll.
Stellt man den Gedenkreden an die Zeit vor hundert Jahren die Reden über die aktuellen Konflikte oder gar über zukünftige Auseinandersetzungen gegenüber, so entpuppt sich die „Erinnerungskultur“ des obersten Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland als schal, ja als hohles Ritual. Vom viel zitierten Lernen aus der Geschichte ist da nicht viel zu merken.
Das millionenfache Sterben unserer Vorfahren vor hundert Jahren, scheint offenbar wirklich keinen Sinn gehabt zu haben. Aber selbst die Militäreinsätze in diesem Jahrhundert scheinen schon vergessen zu sein: Wozu haben die westlichen Militäreinsätze in Afghanistan, im Irak, im Libanon, in Libyen eigentlich geführt?
Das Resultat sehen wir nahezu jeden Abend in der Tagesschau: nämlich zu noch mehr Sterben.
Mit Material hauptsächlich aus: „Nie wieder Krieg in Europa“ – aber gegen Russland oder sonst wo auf der Welt soll man schon über Militäreinsätze nachdenken - Von Wolfgang Lieb | nachdenkseiten