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Ich hatte vor ein paar Tagen die Dichterin Sylvia Plath hier vorgestellt mit ihrem Werk. Inzwischen habe ich Einiges zu und von ihr gelesen - und bin nun auf ein Gedicht gestoßen, das bei mir rasch die Assoziation zum Tarot-Trumpf-Symbol Nr. XII auslöste: Der Gehängte ... - The Hanged Man ... - Le Pendu ...
Aber zunächst hier das Original-Gedicht von Sylvia Plath - und dann in der deutschen Übersetzung von Erich Fried:
Dieses Symbol des Gehenkten-Gehängten erschrickt vielleicht im ersten Augenblick - doch dann erkenne ich schon: Da hängt kein Toter, da hat sich niemand aufgeknüpft, sondern da hängt ein Adept, ein Schamane am Kreuz oder am Baum, und hat eine "Erleuchtung" ... Er betrachtet sich diese Welt kopfüber, wie Kinder es tun - spielerisch beim sogenannten "Schweinehängen" - ja, kopfüber an der Teppichstange hängend ... - und in Gymnastikübungen oder Yoga-Verrenkungen übt man den "Kopfstand" - um eben in eine ähnliche Kopfüber-Hänge-Position zu gelangen ...
Sylvia Path lässt offen, ob sie überhaupt die Tarot-Karte gekannt hat - und sie lässt auch mit ihrem eigenwilligen Original-Titel: THE HANGING MAN offen, ob sie nun einen "Erhängten" besingt - oder vielleicht auch seinen "Henker", denn im Englischen hat der Ausdruck "hanging man" beide Bedeutungen ... - und trotz ihrer ansonsten in ihrem Werk aufleuchtenden etwas morbid-zynischen Charakterzüge (sie starb ja tatsächlich nach mehreren Psychiatrie-Aufenthalten nach Suizid-Versuchen 1963 an einer Überdosis Schlaftabletten ...) lassen ihre Zeilen auch offen, was sie denn als Tun oder als Tat von "ihm" erwartet, ... "wenn er ich wäre - täte er, was ich tat"... - sie hatte ja ihre ersten Psychiatrie-Aufenthalte erfolgreich überwunden und sich mit viel Selbstdisziplin wieder ins "normale" Leben als Ehefrau, Mutter und Dichterin begeben ... - und hat diese vermaledeiten Elektroschocks bestimmt als tiefe einschnitte in ihre Persönlichkeit erlebt - aber wiederum auch erfahren, dass sie - wenigstens nach den Worten der "Henker", der Anstaltsärzte - für eine Änderung ihrer inneren Wahrnehmungen mit beigetragen hatten - Umprogrammieren durch Vergessen - und neue Hirnverknüpfungen ... - und dazu mussten die alten erst einmal gekappt werden ... - so die damalige Lehrmeinung ...
Ähnliches geschieht ja in den "Übungen", die auf dem Tarot-Trumpf "THE HANGED MAN" skizziert sind: Eine Umkehrung der Wirklichkeit und damit eine Umprogrammierung - und vielleicht eine Erleuchtung dabei, ein neuer "Durchblick" - eine neue Herangehensweise ans Leben - die Erweckung neuer schlummernder Ressourcen - eine andere Sichtweise ...: Wenn man die Welt verkehrt herum aus der Metaebene betrachtet ...
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"Der Gehenkte" kommt Artauds méta de la physique sehr nahe, denn sein Kopf
berührt die Erde und seine Basis ragt himmelwärts. Mit den Armen bildet er ein Dreieck und seine Beine sind gekreuzt. Die Hieroglyphe, die er beschreibt, ist ein umgekehrtes Dreieck mit einem Kreuz darüber - ein allen Adepten alchemistischer Lehren bekanntes Symbol, das den Vollzug eines großen Werkes oder die Termination eines Zyklus anzeigt. Für Artaud ist der Gehenkte der «révélateur du grand arcane», der Entdecker des großen Arkanums: Ich habe die ganze Runde gemacht und habe
begriffen, die Welt muß man umgekehrt lesen, so scheint er zu sagen. Man hat ihn gekocht, gebraten, gegrillt, man hat ihn erwürgt, aufgehängt, füsiliert, guillotiniert.
Er ist das Sinnbild dafür, dass man die Erde niemals unter den Füßen hat, dafür, wie man mit Gewinn den Boden unter den Füßen verliert: «Die Erde ist eine Kugel im Gemüt, die man mir [...] weggenommen hat, der vorwärts marschiert, den Kopf nach oben, die Füße unten, dem sich aber dauernd der Boden entzieht, angezogen von der Erde, die über ihm ist, und nicht vom Himmel, der unter ihm ist, von der Erde, der Unendlichkeit, auf der man sich vorwärtsbewegt, aber selbst dies ist eine Illusion, denn in Wirklichkeit bin ich selbst die Unendlichkeit» ...
Handelt es sich um versuchten Mord oder Selbstmord, einen jener Selbstmorde, die Mord sind, wie der an Gérard de Nerval und an Vincent van Gogh verübte? Oder läßt die Gleichmut des Gehenkten darauf schließen, dass vielmehr er mit seiner umgekehrten Perspektive zum Henker Gottes wird?
In ihrem Gedicht "The Hanging Man" /"Der Erhängte" radikalisiert Sylvia Plath einen solchen Gedanken (im Englischen hat der Ausdruck "hanging man" beide Bedeutungen, es kann sowohl der Erhängte als auch der Henker gemeint sein -): Oder wird er vielleicht gerade erst geboren, der Gehenkte?
Er hängt da herunter wie ein Kind, das mit dem Kopf voraus zur Welt kommt. Der Strick, an dem er hängt, umschließt überdies seinen Fuß nicht. Und die Schmerzen des Gemarterten gleichen den Schmerzen einer Geburt, der Strick ist ebenso Nabelschnur wie Würgeseil.
Das rechte, gekreuzte Bein, ist es nicht ein Hindernis bei der Geburt? -Als Herkules, Sohn des Jupiter und der Alkmene, zur Welt kommt, so berichtet Ovid, bittet die eifersüchtige Juno die Göttin der Geburt um einen Zauber. Diese setzt sich, das rechte Bein über das linke geschlagen und die Arme hinter dem Rücken gekreuzt, auf einen Altar und hält so die Geburt auf.
Für Artaud ist das Kreuz ein Hindernis bei der Geburt des «in-né» und nicht der Schlüssel zu einer künftigen Weisheit. Es ist das Zeichen des stauros mit dem zweifelhaften Ruhm, von Gott an die vier Himmelsrichtungen geheftet worden zu sein, damit es als doppelte Angel des Universums diene. Es ist das Zeichen, das Gräben aufriß statt sie zu schließen. Es ist die Abkürzung des ungerechten Gesetzes, sein Inbegriff. Es ist ein Totem der Heuchelei, denn am Kreuz haben die Christen ihren Herrn getötet. Das Exil haben sie über das Zeichen verhängt, um später umso enger zusammenzukommen unter ihm, das über ihnen hängt mit der Macht eines Dompteurs und Versklavers. Kain, der Brudermörder, verbirgt sich unter ihm.
Für Artaud repräsentieren die Beine des Gehenkten ein seiner Perversion entratenes Kreuz, ein Tau vielmehr, das dem Christen den Weg verrammelt, «tau barrant à la place du christ», eine Negation des Kreuzes oder «tau séculaire», an dem der Gekreuzigte nunmehr wirklich und wahrhaftig stirbt - niemand rollt von diesem Grab mehr den Stein weg...
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Auf einem ganz anderen Blatt steht diese gewisse Schicksalsgemeinschaft von Antonin Artaud (1896-1948) mit Sylvia Plath (1932-1963): Beide kannten ja zu Genüge die Psychiatrie von innen als Patienten, die Elektroschocks und Insulinschocks über sich ergehen lassen mussten: Antonin Artaud beschrieb einmal "seinen eigenen Tod" nach erlittenen Elektroschocks in der Psychiatrie:
[La Conférence au Vieux-Colombier], 168f. zitiert nach Renate Bauer: "Antonin Artaud - Alchemie der Materie" ("Antonin Artaud - Alchemy of Matter"), 2000).
Ähnlich dramatisch beschreibt auch Sylvia Plath ihr Elektroschock-Erleben:
Dieses Erleben im künstlich ausgelösten Hirnkrampf spiegelt sich nach meinem Empfinden auch in den Zeilen des Gedichtes "THE HANGING MAN" bzw."DER ERHÄNGTE - DER ERHENKTE" wider - etwa wenn es heißt:
Ich schmorte, ... an seinem blau
sprühenden Draht.
Die Nächte außer Sicht, wie ein Echsenaugenlid klappt:
Eine Welt von Tagen, kahl, weiß, ohne Lampenschirm
eingeschraubt..."
In den gängigen Deutungstexten zum Karten-Symbol Tarot-Trumpf XII heißt es zum Beispiel: "Der Gehängte" bzw. "Der Gehenkte" steht für einen klaren und eindeutigen Standpunkt. Nur dass der Bezugspunkt des Gehängten nicht die Erde, sondern die himmlische, transzendente Perspektive ist. Der Himmel symbolisiert die spirituelle Seite des Lebens. Und es gilt auch: "Des Menschen Wille ist sein Himmelreich."
Also: Nimm in unentschiedenen Fragen, die dich bedrängen, den "umgekehrten" Blickwinkel ein - einen Perspektivwechsel, der dich weiterbringen kann ...
Nutzen Sie die aktuellen Fragen an die Tarot-Karten, um Ihre Glaubenssätze zu prüfen. Versuchen Sie auch einmal, die gegenteilige Position einzunehmen oder zu verstehen. Spielen Sie nicht den Märtyrer und lassen Sie es nicht zu, dass ein gewisses Leid verherrlicht wird. Untersuchen Sie den Anhaltspunkt, den Sie für Ihren Glauben und Ihr Vertrauen besitzen. Wenn Sie aber Ihren Glauben geprüft haben, scheuen Sie sich nicht, sich ihm restlos anzuvertrauen: Ein sinnvoller Glaube und eine Passion sind das Höchste der Gefühle!
(Mit Materialien aus © Bürger/Fiebig: Tarot – Liebe, Glück, Erfolg. www.koenigsfurt-urania.com.)
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Und in einer "Tarot-Typologie" der Professoren im Hochschulmagazin "duz" erklärt Professor Thomas Hoeren seine Kollegen so:
Tagungen, Tagungen, Tagungen - schon machen sich Karawanen auf, um im Dienste der Rezeptionsästhetik, der Ugaritforschung, der Narratologie in Wien, Zürich oder Marl zu dozieren. Was solche Konferenzen bringen, hat sich mir nie richtig erschlossen.
"David Lodge hat es in seinem Grundlagenwerk "Schnitzeljagd" auf den Punkt gebracht: "Die moderne Tagung ähnelt der Pilgerfahrt des christlichen Mittelalters insofern, als sie den Teilnehmern Gelegenheit bietet, alle Freuden und Zerstreuungen des Reisens zu genießen, während sie allem Anschein nach strikt auf Weiterbildung erpicht sind."
Doch die "Weiterbildung" entpuppt sich bei näherem Zuhören als mehrtägige Bußübung: Gelangweilt hört man Vorträge, die vom Blatt abgelesen oder mit Powerpoint an die Wand geworfen werden (Walter Jens hat zu Recht die Rhetorik-Abneigung deutscher Wissenschaftler kritisiert). Noch künstlicher wird das Zuhören dadurch, dass die Vorträge später zu allem Unglück auch noch in den gefürchteten Tagungsbänden erscheinen.
Das Dösen, Starren, Herumlungern endet schlagartig mit der im Tagungsprogramm angesetzten "Diskussion". Hier erwachen deutsche Professoren aus ihrer Mumienstarre und werden zu Männern. Über Jahrzehnte habe ich versucht, die dabei auftretenden Phänotypen zu klassifizieren und bin dabei auf eine erstaunliche Parallele zu den Trumpfkarten des Tarotspiels gestoßen. Der Leser mache den Lackmustest und lege die nun folgende Typenlehre bei Konferenzbesuchen neben sich."
Hier nun aus diesem Text von Thomas Hoeren:
Ich hatte vor ein paar Tagen die Dichterin Sylvia Plath hier vorgestellt mit ihrem Werk. Inzwischen habe ich Einiges zu und von ihr gelesen - und bin nun auf ein Gedicht gestoßen, das bei mir rasch die Assoziation zum Tarot-Trumpf-Symbol Nr. XII auslöste: Der Gehängte ... - The Hanged Man ... - Le Pendu ...
Aber zunächst hier das Original-Gedicht von Sylvia Plath - und dann in der deutschen Übersetzung von Erich Fried:
Sylvia Plath
THE HANGING MAN
By the roots of my bair some god got hold of me.
I sizzled in bis blue volts like a desert prophet.
Tbe nights snapped out of sight like a lizard's eyelid:
A world of bald white days in a shadeless socket.
A vulturous boredom pinned me in this tree.
If he vere I, he would do what I did.
Die Prüfung - Der Gehenkte | aus dem "Zigeuner-Tarot" von Walter Wegmüller | S!NEDi|TAROT|Archiv |
DER ERHÄNGTE - DER ERHENKTE*)
An meinen Haarwurzeln hat mich irgendein Gott
gepackt.
Ich schmorte, ein Wüstenprophet, an seinem blau
sprühenden Draht.
Die Nächte außer Sicht, wie ein Echsenaugenlid klappt:
Eine Welt von Tagen, kahl, weiß, ohne Lampenschirm
eingeschraubt.
Ihre Geierlangweile hat mich an diesen Baum gesteckt.
Wenn er ich wäre, täte er, was ich tat.
aus: Sylvia Plath | ARIEL | Gedichte | englisch und deutsch |
Deutsch von Erich Fried, Bibliothek Suhrkamp 1974
*) Beide Schreibweisen führt der DUDEN auf: Für mich liegt der Unterschied vielleicht im Wortsinn: Der vom Henker Gehenkte - bzw. der sich selbst Aufgehängte - bzw. der sich durch eine Körperübung mittels "Kopfstand" oder "Schweinehängen" in eine "hängendes" Kopfüber Begebende ...
Dieses Symbol des Gehenkten-Gehängten erschrickt vielleicht im ersten Augenblick - doch dann erkenne ich schon: Da hängt kein Toter, da hat sich niemand aufgeknüpft, sondern da hängt ein Adept, ein Schamane am Kreuz oder am Baum, und hat eine "Erleuchtung" ... Er betrachtet sich diese Welt kopfüber, wie Kinder es tun - spielerisch beim sogenannten "Schweinehängen" - ja, kopfüber an der Teppichstange hängend ... - und in Gymnastikübungen oder Yoga-Verrenkungen übt man den "Kopfstand" - um eben in eine ähnliche Kopfüber-Hänge-Position zu gelangen ...
Sylvia Path lässt offen, ob sie überhaupt die Tarot-Karte gekannt hat - und sie lässt auch mit ihrem eigenwilligen Original-Titel: THE HANGING MAN offen, ob sie nun einen "Erhängten" besingt - oder vielleicht auch seinen "Henker", denn im Englischen hat der Ausdruck "hanging man" beide Bedeutungen ... - und trotz ihrer ansonsten in ihrem Werk aufleuchtenden etwas morbid-zynischen Charakterzüge (sie starb ja tatsächlich nach mehreren Psychiatrie-Aufenthalten nach Suizid-Versuchen 1963 an einer Überdosis Schlaftabletten ...) lassen ihre Zeilen auch offen, was sie denn als Tun oder als Tat von "ihm" erwartet, ... "wenn er ich wäre - täte er, was ich tat"... - sie hatte ja ihre ersten Psychiatrie-Aufenthalte erfolgreich überwunden und sich mit viel Selbstdisziplin wieder ins "normale" Leben als Ehefrau, Mutter und Dichterin begeben ... - und hat diese vermaledeiten Elektroschocks bestimmt als tiefe einschnitte in ihre Persönlichkeit erlebt - aber wiederum auch erfahren, dass sie - wenigstens nach den Worten der "Henker", der Anstaltsärzte - für eine Änderung ihrer inneren Wahrnehmungen mit beigetragen hatten - Umprogrammieren durch Vergessen - und neue Hirnverknüpfungen ... - und dazu mussten die alten erst einmal gekappt werden ... - so die damalige Lehrmeinung ...
Ähnliches geschieht ja in den "Übungen", die auf dem Tarot-Trumpf "THE HANGED MAN" skizziert sind: Eine Umkehrung der Wirklichkeit und damit eine Umprogrammierung - und vielleicht eine Erleuchtung dabei, ein neuer "Durchblick" - eine neue Herangehensweise ans Leben - die Erweckung neuer schlummernder Ressourcen - eine andere Sichtweise ...: Wenn man die Welt verkehrt herum aus der Metaebene betrachtet ...
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Röhrig-Tarot | S!NEDi|TAROT|Archiv |
berührt die Erde und seine Basis ragt himmelwärts. Mit den Armen bildet er ein Dreieck und seine Beine sind gekreuzt. Die Hieroglyphe, die er beschreibt, ist ein umgekehrtes Dreieck mit einem Kreuz darüber - ein allen Adepten alchemistischer Lehren bekanntes Symbol, das den Vollzug eines großen Werkes oder die Termination eines Zyklus anzeigt. Für Artaud ist der Gehenkte der «révélateur du grand arcane», der Entdecker des großen Arkanums: Ich habe die ganze Runde gemacht und habe
begriffen, die Welt muß man umgekehrt lesen, so scheint er zu sagen. Man hat ihn gekocht, gebraten, gegrillt, man hat ihn erwürgt, aufgehängt, füsiliert, guillotiniert.
Er ist das Sinnbild dafür, dass man die Erde niemals unter den Füßen hat, dafür, wie man mit Gewinn den Boden unter den Füßen verliert: «Die Erde ist eine Kugel im Gemüt, die man mir [...] weggenommen hat, der vorwärts marschiert, den Kopf nach oben, die Füße unten, dem sich aber dauernd der Boden entzieht, angezogen von der Erde, die über ihm ist, und nicht vom Himmel, der unter ihm ist, von der Erde, der Unendlichkeit, auf der man sich vorwärtsbewegt, aber selbst dies ist eine Illusion, denn in Wirklichkeit bin ich selbst die Unendlichkeit» ...
Handelt es sich um versuchten Mord oder Selbstmord, einen jener Selbstmorde, die Mord sind, wie der an Gérard de Nerval und an Vincent van Gogh verübte? Oder läßt die Gleichmut des Gehenkten darauf schließen, dass vielmehr er mit seiner umgekehrten Perspektive zum Henker Gottes wird?
In ihrem Gedicht "The Hanging Man" /"Der Erhängte" radikalisiert Sylvia Plath einen solchen Gedanken (im Englischen hat der Ausdruck "hanging man" beide Bedeutungen, es kann sowohl der Erhängte als auch der Henker gemeint sein -): Oder wird er vielleicht gerade erst geboren, der Gehenkte?
Er hängt da herunter wie ein Kind, das mit dem Kopf voraus zur Welt kommt. Der Strick, an dem er hängt, umschließt überdies seinen Fuß nicht. Und die Schmerzen des Gemarterten gleichen den Schmerzen einer Geburt, der Strick ist ebenso Nabelschnur wie Würgeseil.
Das rechte, gekreuzte Bein, ist es nicht ein Hindernis bei der Geburt? -Als Herkules, Sohn des Jupiter und der Alkmene, zur Welt kommt, so berichtet Ovid, bittet die eifersüchtige Juno die Göttin der Geburt um einen Zauber. Diese setzt sich, das rechte Bein über das linke geschlagen und die Arme hinter dem Rücken gekreuzt, auf einen Altar und hält so die Geburt auf.
Für Artaud ist das Kreuz ein Hindernis bei der Geburt des «in-né» und nicht der Schlüssel zu einer künftigen Weisheit. Es ist das Zeichen des stauros mit dem zweifelhaften Ruhm, von Gott an die vier Himmelsrichtungen geheftet worden zu sein, damit es als doppelte Angel des Universums diene. Es ist das Zeichen, das Gräben aufriß statt sie zu schließen. Es ist die Abkürzung des ungerechten Gesetzes, sein Inbegriff. Es ist ein Totem der Heuchelei, denn am Kreuz haben die Christen ihren Herrn getötet. Das Exil haben sie über das Zeichen verhängt, um später umso enger zusammenzukommen unter ihm, das über ihnen hängt mit der Macht eines Dompteurs und Versklavers. Kain, der Brudermörder, verbirgt sich unter ihm.
Für Artaud repräsentieren die Beine des Gehenkten ein seiner Perversion entratenes Kreuz, ein Tau vielmehr, das dem Christen den Weg verrammelt, «tau barrant à la place du christ», eine Negation des Kreuzes oder «tau séculaire», an dem der Gekreuzigte nunmehr wirklich und wahrhaftig stirbt - niemand rollt von diesem Grab mehr den Stein weg...
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Antonin Artaud |
"Der Elektroschock, an dem ich starb, war der dritte.(aus: Antonin ARTAUD: Oeuvres Complètes, Tomes I-XXVI. Paris 1956-1994. Tome XXVI (Textes Préparatoires - Histoire Vécue d‘Artaud le Mômo
Ich war nicht ganz weggedämmert unter der Entladung des Stroms und ich er-
innere mich, daß ich mich über eine unbestimmbare Zeitspanne hinweg unruhig
hin und her drehte wie eine Mücke in meinem eigenen Rachen, dann fühlte ich,
wie ich zerbarst, aus meiner eigenen Hülle geschleudert wurde und über sie,
und wie ich, ohne da wirklich hindurchzukommen, völlig von meinem KOrper
getrennt war.
Ich schwebte In der Luft wie ein gefangener Gallon und fragte mich, aufweicher
Seite die Straße wäre und ob mein Körper mir jemals dorthin folgen würde,
denn war er nicht alles, was ich war, und war nicht das, was ich jetzt war, nichts
im Vergleich zu dem, was mein Körper immer gewesen war, was er niemals
nicht sein konnte.
Ich befand mich in dieser Debatte, als ein plötzliches Einrasten mich zurück auf
den Boden warf, und erwachte in dem Raum, wo mich der Elektroschock zer-
malmt hatte.
Man sagte mir später, daß Dr. Ferdiere, der mich tot glaubte, zwei Krankenpfle-
gern Anweisung gegeben hatte, meinen Körper in die Leichenhalle zu bringen,
und dass mich einzig das Erwachen in diesem Moment rettete."
[La Conférence au Vieux-Colombier], 168f. zitiert nach Renate Bauer: "Antonin Artaud - Alchemie der Materie" ("Antonin Artaud - Alchemy of Matter"), 2000).
Ähnlich dramatisch beschreibt auch Sylvia Plath ihr Elektroschock-Erleben:
Sylvia Plath |
"Doktor Gordon befestigte zwei Metallplatten an beiden Seiten meines Kopfes. Mit einem Band, das sich mir in die Stirn einschnitt, schnallte er sie fest und gab mir einen Draht zu beißen.(aus: Sylvia Plath: Die Glasglocke, Suhrkamp 2005, S. 156)
Ich schloss die Augen.
Es trat eine kurze Stille ein, wie ein Atemanhalten.
Dann kam etwas über mich und packte und schüttelte mich, als ginge die Welt unter. Wii-ii-ii-ii-ii schrillte es durch blauflackerndes Licht, und bei jedem Blitz durchfuhr mich ein gewaltiger Ruck, bis ich glaubte, mir würden die Knochen
brechen und das Mark würde mir herausgequetscht wie aus einer zerfasernden Pflanze.
Ich fragte mich, was ich Schreckliches getan hatte."
Dieses Erleben im künstlich ausgelösten Hirnkrampf spiegelt sich nach meinem Empfinden auch in den Zeilen des Gedichtes "THE HANGING MAN" bzw."DER ERHÄNGTE - DER ERHENKTE" wider - etwa wenn es heißt:
Ich schmorte, ... an seinem blau
sprühenden Draht.
Die Nächte außer Sicht, wie ein Echsenaugenlid klappt:
Eine Welt von Tagen, kahl, weiß, ohne Lampenschirm
eingeschraubt..."
In den gängigen Deutungstexten zum Karten-Symbol Tarot-Trumpf XII heißt es zum Beispiel: "Der Gehängte" bzw. "Der Gehenkte" steht für einen klaren und eindeutigen Standpunkt. Nur dass der Bezugspunkt des Gehängten nicht die Erde, sondern die himmlische, transzendente Perspektive ist. Der Himmel symbolisiert die spirituelle Seite des Lebens. Und es gilt auch: "Des Menschen Wille ist sein Himmelreich."
Also: Nimm in unentschiedenen Fragen, die dich bedrängen, den "umgekehrten" Blickwinkel ein - einen Perspektivwechsel, der dich weiterbringen kann ...
Nutzen Sie die aktuellen Fragen an die Tarot-Karten, um Ihre Glaubenssätze zu prüfen. Versuchen Sie auch einmal, die gegenteilige Position einzunehmen oder zu verstehen. Spielen Sie nicht den Märtyrer und lassen Sie es nicht zu, dass ein gewisses Leid verherrlicht wird. Untersuchen Sie den Anhaltspunkt, den Sie für Ihren Glauben und Ihr Vertrauen besitzen. Wenn Sie aber Ihren Glauben geprüft haben, scheuen Sie sich nicht, sich ihm restlos anzuvertrauen: Ein sinnvoller Glaube und eine Passion sind das Höchste der Gefühle!
(Mit Materialien aus © Bürger/Fiebig: Tarot – Liebe, Glück, Erfolg. www.koenigsfurt-urania.com.)
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Und in einer "Tarot-Typologie" der Professoren im Hochschulmagazin "duz" erklärt Professor Thomas Hoeren seine Kollegen so:
Tagungen, Tagungen, Tagungen - schon machen sich Karawanen auf, um im Dienste der Rezeptionsästhetik, der Ugaritforschung, der Narratologie in Wien, Zürich oder Marl zu dozieren. Was solche Konferenzen bringen, hat sich mir nie richtig erschlossen.
"David Lodge hat es in seinem Grundlagenwerk "Schnitzeljagd" auf den Punkt gebracht: "Die moderne Tagung ähnelt der Pilgerfahrt des christlichen Mittelalters insofern, als sie den Teilnehmern Gelegenheit bietet, alle Freuden und Zerstreuungen des Reisens zu genießen, während sie allem Anschein nach strikt auf Weiterbildung erpicht sind."
Doch die "Weiterbildung" entpuppt sich bei näherem Zuhören als mehrtägige Bußübung: Gelangweilt hört man Vorträge, die vom Blatt abgelesen oder mit Powerpoint an die Wand geworfen werden (Walter Jens hat zu Recht die Rhetorik-Abneigung deutscher Wissenschaftler kritisiert). Noch künstlicher wird das Zuhören dadurch, dass die Vorträge später zu allem Unglück auch noch in den gefürchteten Tagungsbänden erscheinen.
Das Dösen, Starren, Herumlungern endet schlagartig mit der im Tagungsprogramm angesetzten "Diskussion". Hier erwachen deutsche Professoren aus ihrer Mumienstarre und werden zu Männern. Über Jahrzehnte habe ich versucht, die dabei auftretenden Phänotypen zu klassifizieren und bin dabei auf eine erstaunliche Parallele zu den Trumpfkarten des Tarotspiels gestoßen. Der Leser mache den Lackmustest und lege die nun folgende Typenlehre bei Konferenzbesuchen neben sich."
Hier nun aus diesem Text von Thomas Hoeren:
"Der Gehängte/Gehenkte - Hat gefühlt schon über alles geschrieben:
Der Gehängte ist ein androgyner Typus. Er ist zutiefst depressiv und hat mit dem Leben gedanklich längst Schluss gemacht. Aus seiner Sicht hat er schon vor Jahren alles geschrieben und gesagt und versteht nicht, wieso jemand noch einmal darüber berichtet - ohne ihn zu erwähnen. Er wähnt sich immer und überall als Plagiatsopfer und verdächtigt die ganze Zunft entweder der Ignoranz oder des Ideendiebstahls. Seine Frage ist daher resignativ-kurz: "Das entspricht alles schon meinem Aufsatz im Southampton Journal of Osteopathy 1969." Oder: "In meinem Grundlagenwerk zur Poetologie habe ich den von Ihnen erwähnten Begriff der Dekonstruktion bereits herausgearbeitet." Deutlicher wird er in der Kaffeepause: "Hier gibt's nichts Neues unter der Sonne. Alles schon dagewesen."