Bundesministerin der "Verteidigung": Von der Leyen:
Manche "deutsche Personal-Schüsse" gehen denn schon mal nach hinten los ...
DIE ZEIT: Krieg in Gaza, Kämpfe in der Ukraine, IS-Terroristen im Irak und in Syrien: Es ist der Sommer der Kriege. Gibt es einen Zusammenhang zwischen diesen Krisen?
Ursula von der Leyen: Konflikte entstehen oder eskalieren dort, wo Zentralregierungen eine ausgrenzende Politik betreiben, also bestimmte ethnische oder religiöse Bevölkerungsgruppen systematisch bevorzugen oder unterdrücken. Minderheiten radikalisieren sich oder werden - wie im Fall der Ostukraine und Russland - von anderen benutzt. Ein zweites Muster ist: Krisen entstehen, wo Grenzen infrage stehen. Entweder werden sie willkürlich gebrochen, wie auf der Krim und im Osten der Ukraine. Oder sie werden von Teilen der Bevölkerung nicht akzeptiert, weil sie einst quer durch Stammesgebiete aufgezwungen worden sind, wie etwa in Afrika und im Nahen Osten. Oberstes Ziel der internationalen Politik muss es daher sein, die Integrität der einzelnen Staaten zu erhalten und Regierungen zu stärken, die alle Bevölkerungsgruppen einbeziehen. Das gilt für die Ukraine ebenso wie für den Irak.
ZEIT: Die USA haben sich eine defensivere Rolle auferlegt. Welche Auswirkungen hat das?
Von der Leyen: Die zurückgenommenere Rolle der USA ist sicherlich nicht der Auslöser der aktuellen Konflikte. Aber sie hat ein Machtvakuum entstehen lassen. Die Mitgliedsländer der EU müssen ihre Außen- und Sicherheitspolitik deutlich effizienter aufeinander abstimmen, um die entstandene Lücke füllen zu können. Aus meiner Erfahrung mit anderen Ministerämtern kann ich nur sagen: Auf anderen Feldern arbeitet Europa bereits effizienter zusammen. Es lohnt sich, diesen Weg weiterzugehen.
ZEIT: Müssten wir dann nicht intensiver über eine Außen- und Sicherheitspolitik der EU nachdenken? Sie wollen stattdessen mehr deutsche Verantwortung.
Von der Leyen: Aber das ist doch der Kern der Debatte. Wenn ich sage, Gleichgültigkeit ist keine Option, meine ich: Wer sich raushält, hat keinen Einfluss. Wir wollen keine nationalen Alleingänge starten. Aber wir wollen innerhalb der Bündnisse – der EU, der Nato – mehr Verantwortung übernehmen, den deutschen Dreiklang von Diplomatie, wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Sicherheit einbringen.
ZEIT: Bis zur vergangenen Woche galt der Grundsatz, kein militärisches Gerät in Krisengebiete zu liefern. Mit den Lieferungen in den Nordirak hat sich das geändert. Ist das der Beginn einer neuen Außenpolitik?
Von der Leyen: Nein, es ist eine Weiterentwicklung der Sicherheitspolitik. Die Anfänge reichen mehr als 20 Jahre zurück. Was längst vorbei ist, ist die Politik allein mit dem Scheckbuch. Deutschland bringt sich heute breiter ein. Das löst innenpolitisch oft schmerzhafte und dilemmareiche Debatten aus, aber dem müssen wir uns angesichts der gewachsenen wirtschaftlichen und politischen Bedeutung unseres Landes stellen. Auch unsere Partner erwarten, dass wir uns ohne Schere im Kopf beteiligen. Daraus folgt aber auch kein Muss.
ZEIT: Was wird Deutschland noch in den Irak liefern? Das Sturmgewehr G36?
Von der Leyen: Wichtiger als die Frage, ob und welche Waffe wir am Ende liefern, ist die Bereitschaft, Tabus beiseitezulegen und offen zu diskutieren. An dieser Stelle sind wir gerade. Es geht nicht mehr um humanitäre Hilfe versus Ausrüstungshilfe, es geht um beides. Wir prüfen derzeit, was im Nordirak gebraucht wird, was andere liefern und was wir leisten können. Lange Zeit war gar nicht vorstellbar, von Lebensmitteln bis zu militärischem Gerät zu prüfen.
ZEIT: Warum geht das jetzt, was hat sich geändert?
Von der Leyen: Den Boden bereitet hat die Diskussion über eine veränderte Rolle Deutschlands in den letzten Monaten. Und die Dramatik der Situation bringt die Nagelprobe. Jeder sieht, dass Hunderttausende von Menschen nicht nur vom Hungertod bedroht sind, sondern auch durch die blanke Gewalt der IS-Milizen. Hinzu kommt der hohe Anteil dschihadistischer Kämpfer aus Europa. Kriegserfahren, verroht, fanatisiert kehren sie in ihre Herkunftsländer zurück – und tragen Hass und Gewalt zu uns. Der Anschlag von Brüssel war ein erstes Warnsignal.
ZEIT: Wird Deutschland am Sindschar verteidigt?
Von der Leyen: Richtig daran ist: Wir leben nicht auf einer Insel. Die Dinge gehen uns etwas an. Wenn wir Wirtschaftlich und politisch global agieren, dann sind wir auch sicherheitspolitisch global herausgefordert.
ZEIT: Eine Sicht, die laut Umfragen von der Bevölkerung nicht geteilt wird.
Von der Leyen: Umso mehr sind wir Politiker gefordert, die Debatte darüber beherzt, offen und unerschrocken zu führen. Wir haben das in der Euro-Krise auch so getan – und es war erfolgreich. Die Menschen stehen heute fester zu Europa als vor der Krise.
ZEIT: Waffen bleiben selten bei denen, die man beliefert. Und die Guten von heute sind oft die Bösen von morgen. Wie können wir sicher sein, dass wir die Lage nicht verschlimmern, wenn wir Waffen liefern?
Von der Leyen: Diese Garantie gibt es nirgends – und das ist das Dilemma, in dem wir uns bewegen. Aber lassen sie es uns konkret machen: Im Nordirak stellen sich die Kurden beherzt gegen die IS-Terroristen. Sie waren es, die für die Flüchtlinge den Sicherheitskorridor aus dem Sindschar-Gebirge freigekämpft haben. Und sie halten IS in Schach. Das ist in unserem Interesse. Also macht es Sinn, sie so auszurüsten, dass sie im Kampf gegen eine schwer bewaffnete Terrorgruppe bestehen können. Aber da hört Politik nicht auf. Es ist auch an uns, Militärhilfe so zu flankieren, dass diese Entscheidung auch richtig bleibt. Dazu gehört ein politischer Prozess, der den Kurden, den Sunniten und auch den Schiiten ihren Raum lässt, ohne den Irak zu spalten.
ZEIT: „Responsibility to Protect“, Verpflichtung zum Schutz, bedeutet, die Völkergemeinschaft entsendet Truppen, um vom Genozid bedrohte Volksgruppen zu schützen. Jetzt schicken wir Waffen. Ist das Schutzkonzept damit tot?
Von der Leyen: Im Gegenteil. In der konkreten Situation ist es klug, diejenigen zu stärken, die vor Ort sind, die die Lage kennen und ebenso motiviert wie erfolgreich kämpfen – und das sind derzeit die Kurden, hoffentlich auch bald der irakische Zentralstaat.
ZEIT: Als man dachte, Tausende Jesiden seien vom Tod bedroht, haben die USA eine Bodenoffensive erwogen, nachdem es nur einige Hundert waren, nicht mehr. Woran soll sich unser Engagement bemessen?
Von der Leyen: Niemals würde ich das an Zahlen allein festmachen. Und ich will auch nicht leugnen, dass die Wucht der Schreckensbilder Einfluss auf uns hat. Aber unsere Bereitschaft misst sich schlussendlich daran, wie stark der Angriff auf das Völkerrecht und unsere gemeinsamen Werte ist. Und ob Deutschland in der Lage ist, einen wirksamen Beitrag zu leisten.
ZEIT: Aber was sollen die Kriterien sein?
Von der Leyen: Es gibt keine Blaupause. Jeder Konflikt hat sein eigenes Gesicht, vom Kosovokrieg und dem Afghanistan-Einsatz bis zu den Afrikamissionen und den syrischen Chemiewaffen. Aber im Grundsatz gilt: Immer im Bündnis mit unseren Partnern. Es wird nie einen deutschen Alleingang geben, das schützt vor unbedachten Abenteuern und davor, dass wir uns überheben. Aber, wie Henry Kissinger neulich gesagt hat: Deutschland ist geradezu verdammt dazu, mehr Verantwortung zu übernehmen.
ZEIT: Wir liefern nun also Waffen an die Kurden. Die Ukrainer wünschen sich ebenfalls Ausrüstungshilfe. Werden Sie dem Wunsch nachkommen.
Von der Leyen: Auch hier gibt es keinen Automatismus. Das sind zwei unterschiedliche Konflikte. Sie können sicher sein, über jedes deutsche Engagement wird gesondert entschieden.
ZEIT: Als die Ukraine-Krise ausbrach, haben alle so getan, als wäre der Worst Case, wenn Purin das Baltikum bedroht und der Bündnisfall eintritt, der einen Nato-Einsatz zur Folge hätte. Ist der Worst Case nicht in Wirklichkeit, dass der Bündnisfall eintritt und kein Nato-Einsatz folgt? Wäre die Nato willens und in der Lage, das Baltikum zu verteidigen?
Von der Leyen: Darauf können sich unsere Partner im Baltikum hundertprozentig verlassen: Greift Russland sie an, stehen wir an ihrer Seite. Das weiß auch der Kreml. Putin hat mit seiner Aggression in der Ostukraine die Nato aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt und das erreicht, was er am meisten fürchtet: die Geschlossenheit des Westens. Seitdem haben wir im Bündnis die Fähigkeiten stark verbessert, Truppen rasch an die Nato-Ostgrenze verlegen zu können. Die Nato ist sich einig wie lange nicht. Und jeder im Bündnis weiß: Lassen wir im Ernstfall die Balten im Stich, ist die Nato tot.
ZEIT: Zugespitzt heißt das also: Wir ziehen für Lettland in den Krieg.
Von der Leyen: Was heißt für Lettland? Für uns! Es ist der Kern des Bündnisses, dass der eine für den anderen eintritt.
ZEIT: Die Bundeswehr wird gerade zur global agierenden Einsatzarmee umgebaut. Ist sie zur Landesverteidigung noch in der Lage?
Von der Leyen: Selbstverständlich. Gerade die Verschiedenheit der aktuellen Konflikte zeigt, dass die Neuausrichtung der Bundeswehr richtig war: Die Truppe ist heute viel mobiler und flexibler als noch vor wenigen Jahren, und sie ist fest in einer gewachsenen Nato verankert.
ZEIT: Jedes Nato-Land soll zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Verteidigung ausgeben. Wird Deutschland dieser Forderung nachkommen?
Von der Leyen: Zwei Prozent von was? Ich stelle fest, dass wir der zweitgrößte Nettozahler in der Nato sind. Wir stellen so gut wie alle militärischen Kräfte in den Dienst der Nato, das wird anerkannt. Auch andere sehen, dass es innerhalb der Nato noch erheblichen Spielraum gibt, bevor wir über mehr Geld reden, die Mittel effizient einzusetzen.
ZEIT: Joschka Fischer sagt: Putin wird sich von einem ausgeglichenen Haushalt kaum beeindrucken lassen.
Von der Leyen: Hinter dem ausgeglichenen Haushalt stehen doch die robuste deutsche Wirtschaftskraft und gesunde Staatsfinanzen. Das würde sich auch Präsident Putin wünschen.
ZEIT: Russland hat seinen Verteidigungshaushalt in den letzten Jahren mehr alles verdoppelt.
Von der Leyen: Auch Präsident Putin wird seine Soldaten bezahlen müssen. Russland erlebt derzeit eine dramatische Kapitalflucht, weil Investoren das Land meiden. Die Wirtschaft schrumpft, und Auslandsinvestitionen bleiben weg. Eine Armee kann man nicht dauerhaft über Schulden finanzieren.
ZEIT: Katar finanziert zu großen Teilen die Terroristen von IS, Russland destabilisiert die Ukraine und hat sich die Krim einverleibt. Ausgerechnet Russland und Katar sind die Ausrichter der nächsten beiden Fußballweltmeisterschaften, idealen Gelegenheiten für globale PR in eigener Sache. Kann es dabei bleiben?
Von der Leyen: Wo auch immer gespielt wird: Deutschland schickt schießendes Personal.
Die Fragen stellten Peter Dausend und Tina Hildebrandt von der ZEIT.
................................................................................
... und nun die Reaktionen:
Hamburg (AFP) Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat auch in den vielen außenpolitischen Krisen ihren Sinn für Humor nicht verloren - wenngleich er ziemlich gewagt wirkt. Die Wochenzeitung "Die Zeit" befragte die Dienstherrin der Bundeswehr danach, ob die nächsten beiden Fußball-Weltmeisterschaften tatsächlich in Russland als dem Aggressor in der Ukraine-Krise und in Katar als einem Finanzierer der radikalislamischen Terrorgruppe IS stattfinden könnten. Von der Leyens' Antwort: "Wo auch immer gespielt wird: Deutschland schickt schießendes Personal."
(Presse-Kurzmitteilung auf ZEIT.de)
Witz der Verteidigungsministerin
SPD findet "schießendes Personal" nicht lustig
Verteidigungsministerin von der Leyen: Sorgt mit Witz für Verstimmung
Sie wollte witzig sein, nun steht Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in der Kritik. Ihren Galgenhumor zu Zeiten der Ukraine-Krise und des Irak-Kriegs finden SPD und Linke gar nicht komisch.
"Schießendes Personal" nach Russland und Katar? Davon sprach Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen in einem Interview mit der "Zeit" - und meinte nicht die Bundeswehr, sondern die Fußballnationalmannschaft. Ein Wortwitz, über den SPD und Linke nicht lachen können.
"Solche flapsigen Einlassungen sind in den gegenwärtigen Krisenlagen völlig fehl am Platze", sagte SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi der "Frankfurter Rundschau". Linken-Chef Bernd Riexinger twitterte: "Ich glaube nicht, dass ich über die Witze von Ursula von der Leyen lachen kann."
"Wo auch immer gespielt wird: Deutschland schickt schießendes Personal", scherzte sie in dem Blatt. Die Frage hatte darauf gezielt, ob die nächsten beiden Fußball-Weltmeisterschaften tatsächlich in Russland und in Katar stattfinden könnten. Schließlich trägt Moskau seit Monaten zur Eskalation der Lage in der Ukraine bei und das Herrscherhaus in Doha gehört zu den Unterstützern der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS). Die nächsten Fußball-Weltmeisterschaften sollen 2018 in Russland und 2022 in Katar stattfinden.
In dem Gespräch äußerte sich von der Leyen aber auch ernsthafter zum Kampf gegen die IS-Dschihadisten. "Wir prüfen derzeit, was im Nordirak gebraucht wird, was andere liefern und was wir leisten können", sagte die Ministerin. Den Nato-Partnern im Baltikum sagte von der Leyen im Fall eines Übergriffs russischer Truppen die unbedingte Solidarität zu: "Greift Russland sie an, stehen wir an ihrer Seite", so die Ministerin. Jeder im Bündnis wisse: "Lassen wir im Ernstfall die Balten im Stich, ist die Nato tot."
vek/dpa/SPIEGEL-ONLINE
gesamte Bildauswahl: S!NEDi - Zum Thema: hier clicken und hier
Manche "deutsche Personal-Schüsse" gehen denn schon mal nach hinten los ...
S!NEDi|photo|karikatur: UVD Leyen |
Hier: Das Original-ZEIT-Interview mit Ministerin v.d.Leyen -
Das Bundesministerium der Verteidigung hat auf seinem Internet-Portal das umstrittene ZEIT-Interview mit Ministerin von der Leyen abgedruckt:
"Tabus beiseite legen und offen diskutieren"
Berlin, 21.08.2014, Die Zeit.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sieht in der Prüfung von Waffenlieferungen Deutschlands in den Nordirak eine „Weiterentwicklung der Sicherheitspolitik“. Es gehe nicht mehr um humanitäre Hilfe versus Ausrüstungshilfe, es gehe um beides, erklärte von der Leyen im Gespräch mit der Zeit. Den baltischen Bündnispartnern sagte sie die Solidarität zu.
DIE ZEIT: Krieg in Gaza, Kämpfe in der Ukraine, IS-Terroristen im Irak und in Syrien: Es ist der Sommer der Kriege. Gibt es einen Zusammenhang zwischen diesen Krisen?
Ursula von der Leyen: Konflikte entstehen oder eskalieren dort, wo Zentralregierungen eine ausgrenzende Politik betreiben, also bestimmte ethnische oder religiöse Bevölkerungsgruppen systematisch bevorzugen oder unterdrücken. Minderheiten radikalisieren sich oder werden - wie im Fall der Ostukraine und Russland - von anderen benutzt. Ein zweites Muster ist: Krisen entstehen, wo Grenzen infrage stehen. Entweder werden sie willkürlich gebrochen, wie auf der Krim und im Osten der Ukraine. Oder sie werden von Teilen der Bevölkerung nicht akzeptiert, weil sie einst quer durch Stammesgebiete aufgezwungen worden sind, wie etwa in Afrika und im Nahen Osten. Oberstes Ziel der internationalen Politik muss es daher sein, die Integrität der einzelnen Staaten zu erhalten und Regierungen zu stärken, die alle Bevölkerungsgruppen einbeziehen. Das gilt für die Ukraine ebenso wie für den Irak.
ZEIT: Die USA haben sich eine defensivere Rolle auferlegt. Welche Auswirkungen hat das?
Von der Leyen: Die zurückgenommenere Rolle der USA ist sicherlich nicht der Auslöser der aktuellen Konflikte. Aber sie hat ein Machtvakuum entstehen lassen. Die Mitgliedsländer der EU müssen ihre Außen- und Sicherheitspolitik deutlich effizienter aufeinander abstimmen, um die entstandene Lücke füllen zu können. Aus meiner Erfahrung mit anderen Ministerämtern kann ich nur sagen: Auf anderen Feldern arbeitet Europa bereits effizienter zusammen. Es lohnt sich, diesen Weg weiterzugehen.
ZEIT: Müssten wir dann nicht intensiver über eine Außen- und Sicherheitspolitik der EU nachdenken? Sie wollen stattdessen mehr deutsche Verantwortung.
Von der Leyen: Aber das ist doch der Kern der Debatte. Wenn ich sage, Gleichgültigkeit ist keine Option, meine ich: Wer sich raushält, hat keinen Einfluss. Wir wollen keine nationalen Alleingänge starten. Aber wir wollen innerhalb der Bündnisse – der EU, der Nato – mehr Verantwortung übernehmen, den deutschen Dreiklang von Diplomatie, wirtschaftlicher Zusammenarbeit und Sicherheit einbringen.
ZEIT: Bis zur vergangenen Woche galt der Grundsatz, kein militärisches Gerät in Krisengebiete zu liefern. Mit den Lieferungen in den Nordirak hat sich das geändert. Ist das der Beginn einer neuen Außenpolitik?
Von der Leyen: Nein, es ist eine Weiterentwicklung der Sicherheitspolitik. Die Anfänge reichen mehr als 20 Jahre zurück. Was längst vorbei ist, ist die Politik allein mit dem Scheckbuch. Deutschland bringt sich heute breiter ein. Das löst innenpolitisch oft schmerzhafte und dilemmareiche Debatten aus, aber dem müssen wir uns angesichts der gewachsenen wirtschaftlichen und politischen Bedeutung unseres Landes stellen. Auch unsere Partner erwarten, dass wir uns ohne Schere im Kopf beteiligen. Daraus folgt aber auch kein Muss.
ZEIT: Was wird Deutschland noch in den Irak liefern? Das Sturmgewehr G36?
Von der Leyen: Wichtiger als die Frage, ob und welche Waffe wir am Ende liefern, ist die Bereitschaft, Tabus beiseitezulegen und offen zu diskutieren. An dieser Stelle sind wir gerade. Es geht nicht mehr um humanitäre Hilfe versus Ausrüstungshilfe, es geht um beides. Wir prüfen derzeit, was im Nordirak gebraucht wird, was andere liefern und was wir leisten können. Lange Zeit war gar nicht vorstellbar, von Lebensmitteln bis zu militärischem Gerät zu prüfen.
ZEIT: Warum geht das jetzt, was hat sich geändert?
Von der Leyen: Den Boden bereitet hat die Diskussion über eine veränderte Rolle Deutschlands in den letzten Monaten. Und die Dramatik der Situation bringt die Nagelprobe. Jeder sieht, dass Hunderttausende von Menschen nicht nur vom Hungertod bedroht sind, sondern auch durch die blanke Gewalt der IS-Milizen. Hinzu kommt der hohe Anteil dschihadistischer Kämpfer aus Europa. Kriegserfahren, verroht, fanatisiert kehren sie in ihre Herkunftsländer zurück – und tragen Hass und Gewalt zu uns. Der Anschlag von Brüssel war ein erstes Warnsignal.
ZEIT: Wird Deutschland am Sindschar verteidigt?
Von der Leyen: Richtig daran ist: Wir leben nicht auf einer Insel. Die Dinge gehen uns etwas an. Wenn wir Wirtschaftlich und politisch global agieren, dann sind wir auch sicherheitspolitisch global herausgefordert.
ZEIT: Eine Sicht, die laut Umfragen von der Bevölkerung nicht geteilt wird.
Von der Leyen: Umso mehr sind wir Politiker gefordert, die Debatte darüber beherzt, offen und unerschrocken zu führen. Wir haben das in der Euro-Krise auch so getan – und es war erfolgreich. Die Menschen stehen heute fester zu Europa als vor der Krise.
ZEIT: Waffen bleiben selten bei denen, die man beliefert. Und die Guten von heute sind oft die Bösen von morgen. Wie können wir sicher sein, dass wir die Lage nicht verschlimmern, wenn wir Waffen liefern?
Von der Leyen: Diese Garantie gibt es nirgends – und das ist das Dilemma, in dem wir uns bewegen. Aber lassen sie es uns konkret machen: Im Nordirak stellen sich die Kurden beherzt gegen die IS-Terroristen. Sie waren es, die für die Flüchtlinge den Sicherheitskorridor aus dem Sindschar-Gebirge freigekämpft haben. Und sie halten IS in Schach. Das ist in unserem Interesse. Also macht es Sinn, sie so auszurüsten, dass sie im Kampf gegen eine schwer bewaffnete Terrorgruppe bestehen können. Aber da hört Politik nicht auf. Es ist auch an uns, Militärhilfe so zu flankieren, dass diese Entscheidung auch richtig bleibt. Dazu gehört ein politischer Prozess, der den Kurden, den Sunniten und auch den Schiiten ihren Raum lässt, ohne den Irak zu spalten.
ZEIT: „Responsibility to Protect“, Verpflichtung zum Schutz, bedeutet, die Völkergemeinschaft entsendet Truppen, um vom Genozid bedrohte Volksgruppen zu schützen. Jetzt schicken wir Waffen. Ist das Schutzkonzept damit tot?
Von der Leyen: Im Gegenteil. In der konkreten Situation ist es klug, diejenigen zu stärken, die vor Ort sind, die die Lage kennen und ebenso motiviert wie erfolgreich kämpfen – und das sind derzeit die Kurden, hoffentlich auch bald der irakische Zentralstaat.
ZEIT: Als man dachte, Tausende Jesiden seien vom Tod bedroht, haben die USA eine Bodenoffensive erwogen, nachdem es nur einige Hundert waren, nicht mehr. Woran soll sich unser Engagement bemessen?
Von der Leyen: Niemals würde ich das an Zahlen allein festmachen. Und ich will auch nicht leugnen, dass die Wucht der Schreckensbilder Einfluss auf uns hat. Aber unsere Bereitschaft misst sich schlussendlich daran, wie stark der Angriff auf das Völkerrecht und unsere gemeinsamen Werte ist. Und ob Deutschland in der Lage ist, einen wirksamen Beitrag zu leisten.
ZEIT: Aber was sollen die Kriterien sein?
Von der Leyen: Es gibt keine Blaupause. Jeder Konflikt hat sein eigenes Gesicht, vom Kosovokrieg und dem Afghanistan-Einsatz bis zu den Afrikamissionen und den syrischen Chemiewaffen. Aber im Grundsatz gilt: Immer im Bündnis mit unseren Partnern. Es wird nie einen deutschen Alleingang geben, das schützt vor unbedachten Abenteuern und davor, dass wir uns überheben. Aber, wie Henry Kissinger neulich gesagt hat: Deutschland ist geradezu verdammt dazu, mehr Verantwortung zu übernehmen.
ZEIT: Wir liefern nun also Waffen an die Kurden. Die Ukrainer wünschen sich ebenfalls Ausrüstungshilfe. Werden Sie dem Wunsch nachkommen.
Von der Leyen: Auch hier gibt es keinen Automatismus. Das sind zwei unterschiedliche Konflikte. Sie können sicher sein, über jedes deutsche Engagement wird gesondert entschieden.
ZEIT: Als die Ukraine-Krise ausbrach, haben alle so getan, als wäre der Worst Case, wenn Purin das Baltikum bedroht und der Bündnisfall eintritt, der einen Nato-Einsatz zur Folge hätte. Ist der Worst Case nicht in Wirklichkeit, dass der Bündnisfall eintritt und kein Nato-Einsatz folgt? Wäre die Nato willens und in der Lage, das Baltikum zu verteidigen?
Von der Leyen: Darauf können sich unsere Partner im Baltikum hundertprozentig verlassen: Greift Russland sie an, stehen wir an ihrer Seite. Das weiß auch der Kreml. Putin hat mit seiner Aggression in der Ostukraine die Nato aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt und das erreicht, was er am meisten fürchtet: die Geschlossenheit des Westens. Seitdem haben wir im Bündnis die Fähigkeiten stark verbessert, Truppen rasch an die Nato-Ostgrenze verlegen zu können. Die Nato ist sich einig wie lange nicht. Und jeder im Bündnis weiß: Lassen wir im Ernstfall die Balten im Stich, ist die Nato tot.
ZEIT: Zugespitzt heißt das also: Wir ziehen für Lettland in den Krieg.
Von der Leyen: Was heißt für Lettland? Für uns! Es ist der Kern des Bündnisses, dass der eine für den anderen eintritt.
ZEIT: Die Bundeswehr wird gerade zur global agierenden Einsatzarmee umgebaut. Ist sie zur Landesverteidigung noch in der Lage?
Von der Leyen: Selbstverständlich. Gerade die Verschiedenheit der aktuellen Konflikte zeigt, dass die Neuausrichtung der Bundeswehr richtig war: Die Truppe ist heute viel mobiler und flexibler als noch vor wenigen Jahren, und sie ist fest in einer gewachsenen Nato verankert.
ZEIT: Jedes Nato-Land soll zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Verteidigung ausgeben. Wird Deutschland dieser Forderung nachkommen?
Von der Leyen: Zwei Prozent von was? Ich stelle fest, dass wir der zweitgrößte Nettozahler in der Nato sind. Wir stellen so gut wie alle militärischen Kräfte in den Dienst der Nato, das wird anerkannt. Auch andere sehen, dass es innerhalb der Nato noch erheblichen Spielraum gibt, bevor wir über mehr Geld reden, die Mittel effizient einzusetzen.
ZEIT: Joschka Fischer sagt: Putin wird sich von einem ausgeglichenen Haushalt kaum beeindrucken lassen.
Von der Leyen: Hinter dem ausgeglichenen Haushalt stehen doch die robuste deutsche Wirtschaftskraft und gesunde Staatsfinanzen. Das würde sich auch Präsident Putin wünschen.
ZEIT: Russland hat seinen Verteidigungshaushalt in den letzten Jahren mehr alles verdoppelt.
Von der Leyen: Auch Präsident Putin wird seine Soldaten bezahlen müssen. Russland erlebt derzeit eine dramatische Kapitalflucht, weil Investoren das Land meiden. Die Wirtschaft schrumpft, und Auslandsinvestitionen bleiben weg. Eine Armee kann man nicht dauerhaft über Schulden finanzieren.
ZEIT: Katar finanziert zu großen Teilen die Terroristen von IS, Russland destabilisiert die Ukraine und hat sich die Krim einverleibt. Ausgerechnet Russland und Katar sind die Ausrichter der nächsten beiden Fußballweltmeisterschaften, idealen Gelegenheiten für globale PR in eigener Sache. Kann es dabei bleiben?
Von der Leyen: Wo auch immer gespielt wird: Deutschland schickt schießendes Personal.
Die Fragen stellten Peter Dausend und Tina Hildebrandt von der ZEIT.
................................................................................
... und nun die Reaktionen:
Hamburg (AFP) Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat auch in den vielen außenpolitischen Krisen ihren Sinn für Humor nicht verloren - wenngleich er ziemlich gewagt wirkt. Die Wochenzeitung "Die Zeit" befragte die Dienstherrin der Bundeswehr danach, ob die nächsten beiden Fußball-Weltmeisterschaften tatsächlich in Russland als dem Aggressor in der Ukraine-Krise und in Katar als einem Finanzierer der radikalislamischen Terrorgruppe IS stattfinden könnten. Von der Leyens' Antwort: "Wo auch immer gespielt wird: Deutschland schickt schießendes Personal."
(Presse-Kurzmitteilung auf ZEIT.de)
Witz der Verteidigungsministerin
SPD findet "schießendes Personal" nicht lustig
Verteidigungsministerin von der Leyen: Sorgt mit Witz für Verstimmung
Sie wollte witzig sein, nun steht Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen in der Kritik. Ihren Galgenhumor zu Zeiten der Ukraine-Krise und des Irak-Kriegs finden SPD und Linke gar nicht komisch.
"Schießendes Personal" nach Russland und Katar? Davon sprach Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen in einem Interview mit der "Zeit" - und meinte nicht die Bundeswehr, sondern die Fußballnationalmannschaft. Ein Wortwitz, über den SPD und Linke nicht lachen können.
"Solche flapsigen Einlassungen sind in den gegenwärtigen Krisenlagen völlig fehl am Platze", sagte SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi der "Frankfurter Rundschau". Linken-Chef Bernd Riexinger twitterte: "Ich glaube nicht, dass ich über die Witze von Ursula von der Leyen lachen kann."
"Wo auch immer gespielt wird: Deutschland schickt schießendes Personal", scherzte sie in dem Blatt. Die Frage hatte darauf gezielt, ob die nächsten beiden Fußball-Weltmeisterschaften tatsächlich in Russland und in Katar stattfinden könnten. Schließlich trägt Moskau seit Monaten zur Eskalation der Lage in der Ukraine bei und das Herrscherhaus in Doha gehört zu den Unterstützern der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS). Die nächsten Fußball-Weltmeisterschaften sollen 2018 in Russland und 2022 in Katar stattfinden.
In dem Gespräch äußerte sich von der Leyen aber auch ernsthafter zum Kampf gegen die IS-Dschihadisten. "Wir prüfen derzeit, was im Nordirak gebraucht wird, was andere liefern und was wir leisten können", sagte die Ministerin. Den Nato-Partnern im Baltikum sagte von der Leyen im Fall eines Übergriffs russischer Truppen die unbedingte Solidarität zu: "Greift Russland sie an, stehen wir an ihrer Seite", so die Ministerin. Jeder im Bündnis wisse: "Lassen wir im Ernstfall die Balten im Stich, ist die Nato tot."
vek/dpa/SPIEGEL-ONLINE
gesamte Bildauswahl: S!NEDi - Zum Thema: hier clicken und hier
Nachsatz von S!NEDi: Es gab schon Minister-Rücktritte aus nichtigeren Anlässen ...