S!NEDi|photo|karikatur: Wowereit positiv|negativ |
Aus einem Kommentar von Frank Hornig von Dienstag, 26.08.2014 – 14:36 Uhr | SPIEGEL.de
... Natürlich, das muss auch erwähnt werden, hat ihm die Stadt viel zu verdanken. Doch die großen Erfolge liegen lange zurück: Wowereit hat den milliardenschweren Bankenskandal bewältigt, den Hauptstadt-Filz bekämpft und die Finanzen der fast bankrotten Metropole saniert. Unter seiner Regierung erlebte Berlin einen beispiellosen Aufschwung, zu dem er einiges beigetragen hat.
Vor allem aber: Wowereit verhalf der Stadt zu einem neuen, coolen Image. Er gab den Party-Bürgermeister und war nebenbei auch noch Kultursenator - so überspielte er die vielen wirtschaftlichen Schwächen, die Negativrekorde seiner Metropole, etwa in den Bereichen Bildung oder Integration. "Arm, aber sexy": Sein Motto traf den Zeitgeist und lockte Millionen Besucher aus aller Welt an die Spree. Das einst geteilte Berlin wurde zur internationalen Metropole.
Seine Bühne war größer als Berlin. Der 60-Jährige ist einer der letzten seiner Art, er gehört zu jener Riege von Länderchefs, die Politik mit Mut zum Risiko und manchmal übergroßem Geltungsdrang betrieben und sich so bundesweit einen Namen machten. Anders als jene Technokraten, die heute in vielen Landeshauptstädten regieren.
Klaus Wowereit trat mit einem Paukenschlag an. Als er sich 2001 zu seiner Homosexualität bekannte, hat er mit einem einzigen Satz die Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben um Jahre vorangebracht. Dass er nun abtritt, ist gut so. Aber eben auch ein bisschen schade.
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S!NEDi|photo|karikatur: Wowereit positiv|negativ |
Wowereits Rücktritt: Grandiose Wurstigkeit
Aus einem Rücktritts-Artikel von Stefan Kuzmany am Dienstag, 26.08.2014 – 18:21 Uhr | SPIEGEL.de
... Womöglich sind auch die Berliner selbst mit ihrer Liebe zu Wowereit einem großen Missverständnis erlegen. In den Jahren seiner Regentschaft musste man zunehmend den Eindruck gewinnen, sein "und das ist auch gut so" sei weniger ein Bekenntnis zu weltoffener Gelassenheit - sondern Ausdruck einer grandiosen Wurstigkeit. Alles gut, alles egal, Hauptsache Wowi regiert. Beziehungsweise: ist im Amt.
Denn tatsächliches Regierungshandeln Wowereits ist eigentlich nicht erinnerlich. Nicht nur bekam er es nicht hin, dass die S-Bahnen einigermaßen verlässlich fuhren, Wowereit irritierte seine Bürger im Glatteiswinter 2010 zusätzlich mit der Aussage, man sei "hier nicht in Haiti", anstatt sich darum zu kümmern, dass ordentlich gestreut wird (darin nicht ganz unähnlich seinem Parteifreund und langjährigem Finanzsenator Thilo Sarrazin, der frierende Minderbemittelte einst mit dem Hinweis abspeiste, sie sollen sich eben mal einen Pullover drüberziehen).
Im Wahlkampf, zuletzt 2011, präsentierte sich Wowereit als übersympathischer, knuffiger Typ, der zu jedem einzelnen Berliner sofort einen guten Draht hatte, legendär beispielsweise das Plakat, das den Bürgermeister in einer Kita zeigte, während ihm von einem Kind ein Stofftier ins Gesicht gedrückt wurde. Gleichzeitig konnte man immer öfter lesen, dass der Regierende ein überaus unangenehmer Chef sei, der seinen Mitarbeitern herrisch begegnete und unwirsch auf jede Form von Kritik reagierte.
Der Mann, dem man aktuellen Umfragen zufolge nicht einmal mehr zutraut, sich selbstständig die Schnürsenkel zu binden, sollte vielleicht Kanzler werden? Man kann sich das heute kaum mehr vorstellen.
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Das muss man mal selbst erst in aller Ruhe wahrnehmen:
Da veröffentlicht SPIEGEL-ONLINE um 14:36 Uhr einen "Kommentar" von Frank Hornig, stellvertretender Ressortleiter Deutschland/Büroleiter Berlin, zum Abgang von Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit, der immerhin mit dem Satz endet: "Dass er nun abtritt, ist gut so. Aber eben auch ein bisschen schade."
Und knapp vier Stunden später - nämlich um 18:21 Uhr - veröffentlicht SPIEGEL-ONLINE unter genau dem gleichen Konterfei Wowerats einen gnadenlosen Verriss unter dem Titel: "Grandiose Wurstigkeit" - eben dieses gleichen Klaus Wowereit - diesmal von Stefan Kuzmany, immerhin seit November 2010 Kulturredakteur im Berliner Büro von SPIEGEL ONLINE - in diesem Falle aber wohl eher der "Ressortleiter für das Grobe" ... - mit dem Schlusssatz: "Der Mann, dem man aktuellen Umfragen zufolge nicht einmal mehr zutraut, sich selbstständig die Schnürsenkel zu binden, sollte vielleicht Kanzler werden? Man kann sich das heute kaum mehr vorstellen."...
So als Leser beider Artikel frage ich mich nun: Watt denn nu ... ??? Was wird uns Wowereit hinterlassen - und was benötigt man heute, um als erfolgreicher (Kommunal-)Politiker zu gelten ...
Und mit welcher Sprache und mit welchen Fakten begleitet die Presse als "vierte Staatsgewalt" diesen Rücktritt ...
Ich glaube aber auch - jetzt wo sich bei mir beide Statements zu Wowereit allmählich setzen: Es ist das Dilemma unserer Zeit, dass wir den politischen Papa/die Mama, den Pascha, den "Vollblut-Politiker" und die "Autorität" und gleichzeitig den "Fachmann" - bzw. die "Fachfrau" - eigentlich von der Bildfläche weggeschrieben haben - mit kleinen "Party"-Spitzen und Häppchen aus dem Privatleben z.B. wird eine solche ideale aufrichtige und grundehrlich Type mit Hilfe der Presse zwischen den Wirtschaftsinteressen mit ihren Lobbyisten längst zermalmt und zerbröselt - und so können wir in Deutschland einen echten "Elder Statesman" gar nicht mehr vorzeigen - außer den ollen Hanseaten Helmut Schmidt vielleicht ("Wer Visionen hat - der soll zum Arzt gehen ...") ...
Diese Unentschiedenheit in der SPIEGEL-ONLINE-Etage innerhalb von 4 Stunden ist ein Ausdruck dieser Zeit, in der alle paar Minuten eine ganze Schweineherde nucht nur durchs Dorf sondern durch die ganze Republik und durch €uropa und die Welt gejagt wird: alles ganz "exklusiv" - oder von "NDR/WDR und Süddeutsche" gemeinsam recherchiert - aber leider nur mit einer Halbwertzeit der Aktualität von - na ja - vielleicht gerade mal 4 Stunden ...
SPIEGEL-ONLINE zieht daraus nun die einzig noch notwendigen Konsequenzen: Und schreibt einmal einen halbfreundlichen Kommentar - und dann etwas später einen gnadenlosen Verriss - zum Abgang des Bürgermeisters - so kann man beide Seiten der Leserschaft bedienen - und "das ist auch gut so" für die Clicks der Online-Portale und für die Auflagenhöhe der jeweiligen Printausgaben ...
Vielleicht ist das aber eben auch die gemeinte "Presse- und Meinungsfreiheit" in dieser Republik ... Nur - man hat bald wieder den Eindruck, eben die Stadt - [und genau so auch der Staat] würde von einer "viel zu gut eingesessenen Clique von ... Unternehmern regiert", die sich gegenseitig Aufträge zuschieben (siehe das BER-Dilemma), "ansonsten geschmacklose Krawatten umhaben und jedenfalls nicht ganz koscher sind", wie SPIEGEL-Autor Kuzmany "die bleierne Diepgen-Ära" in dem oben genannten Artikel beschreibt: Alles das muss mit solch einer Schreibe immer wieder heraufbeschworen werden - denn die Werbeeinnahmen der Presse werden eben nicht nur in Berlin von genau dieser "eingesessenen Clique" bestimmt ...
Also - wer regiert tatsächlich in Stadt und Staat ...???: Der Vorzeige-Partylöwe - oder die Marionettenfigur, die an den Fäden der "marktgerechten Demokratie" und der Autoindustrie und der Rüstungsindustrie strampelt - der burschikose "aus dem Arbeitermilieu" stammende Gaspromotor und Freund des Zaren Putin - oder etwa der Bürger, das Volk, das all diese Typen alle vier/fünf Jahre erneut wiederwählt - weil nämlich jemand mit mehr "Klasse" lieber Redakteur z.B. beim SPIEGEL wird - oder eben gleich Unternehmer - und nicht erst nach dem Ausscheiden aus politischen Ämtern in Bundestag oder Rathaus ...
Daumen hoch - Daumen runter ...: das ist das Einzige, was zählt ...