HANS MAGNUS ENZENSBERGER
NICHT ZUTREFFENDES STREICHEN
Was deine Stimme so flach macht
so dünn und so blechern
das ist die Angst
etwas Falsches zu sagen
oder immer dasselbe
oder das zu sagen was alle sagen
oder etwas Unwichtiges
oder Wehrloses
oder etwas das mißverstanden werden könnte
oder den falschen Leuten gefiele
oder etwas Dummes
oder etwas schon Dagewesenes
etwas Altes
Hast du es denn nicht satt
aus lauter Angst
aus lauter Angst vor der Angst
etwas Falsches zu sagen
immer das Falsche zu sagen?
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freizeit
rasenmäher, sonntag
der die sekunden köpft
und das gras.
gras wächst
über das tote gras
das über die toten gewachsen ist.
wer das hören könnt!
der mäher dröhnt,
überdröhnt
das schreiende gras.
die freizeit mästet sich.
wir beißen geduldig
ins frische gras.
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Denker und Sprachzauberer: Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger 2013 in München. nach einem FOTO von DPA |
Intellektueller von Format
Hans Magnus Enzensberger wird 85
Von Andreas Heimann, dpa
Gleich sein erstes Buch machte ihn bekannt: "Die Verteidigung der Wölfe" erschien 1957, ein eher schmaler Lyrikband. Doch der Tonfall der Gedichte ließ aufhorchen: Da meldete sich einer zu Wort, der mit Sprache zaubern konnte, Lyrik aber nicht für Zauberei hielt, der kein Loblied auf die blaue Blume sang, aber eine Vorliebe für starke Metaphern und spottreiche Anspielungen zeigte.
Seitdem hat Enzensberger oft von sich reden gemacht, als Intellektueller von Format, politischer Denker, als eine Stimme von Gewicht in vielen Debatten. Am heutigen 11. November wird er 85 Jahre alt. Auf ein literarisches Genre festlegen ließ er sich nie. Die Liste seiner Veröffentlichungen ist lang. Etliche Gedichtbände waren darunter, Kinderreime und Balladen inklusive, aber auch Essays und politische Betrachtungen. Nicht zuletzt mit Literatur hat er sich immer wieder beschäftigt - mit Clemens Brentano beispielsweise, über den er schon seine Doktorarbeit geschrieben hatte.
Enzensberger kam in Kaufbeuren im Allgäu zur Welt und verbrachte seine Kindheit in Nürnberg. Aber sein Horizont hat sich schnell geweitet. Noch im Studium ging er nach Paris. Später lebte er in Norwegen, genauso wie in den USA, in Rom und fast ein Jahr lang in Kuba. Enzensberger war damals Marxist, aber keiner von denen, die auf dem linken Auge blind waren.
In seine Wohnung in Berlin zog 1967 kurzzeitig die Kommune I ein, zu der auch sein Bruder Ulrich zählte. Die Kritik der Kommunarden an der Außenpolitik der USA und am Krieg in Vietnam teilte er, viel mehr verband ihn aber nicht mit ihnen. Dennoch war er keiner, der sich im Elfenbeinturm verbarrikadierte. Ab Mitte der 1960er Jahre gab er das "Kursbuch" heraus, ein Leitmedium der intellektuellen Linken und der Studentenbewegung. Mitte der 80er Jahre startete er "Die Andere Bibliothek", eine Buchreihe für Bibliophile mit Werken abseits des Mainstreams. Auch solchem Engagement verdankt Enzensberger seine Rolle als einer der wichtigsten deutschen Intellektuellen der Nachkriegszeit.
Heute lebt der Autor in München, nicht weit entfernt vom Englischen Garten. Zur Ruhe gesetzt hat er sich nicht. Gerade ist eine neue Anthologie erschienen: "Gedichte 1950-2015" und fast zeitgleich sein jüngstes Werk mit dem bezeichnenden Titel "Tumult". Es ist ein Rückblick auf die 1960er Jahre, aber keine Autobiografie. Memoiren à la "Enzensberger - Das war mein Leben" soll es nicht geben, hat er mehrfach betont. Diesem Genre sei einfach nicht zu trauen.
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Ein Leben im Tumult
- Hans Magnus Enzensberger blickt zurück. In seinem neuen Buch "Tumult" erinnert er sich an seine ersten Reisen in die Sowjetunion, an die Kommune 1 und an Andreas Baader.
Eitelkeit und Selbstverliebtheit haben in diesen Erinnerungen keinen Platz. Dafür stellt sich der Autor zu sehr selbst infrage. Es ist eine Spurensuche in eigener Sache, nachdem Enzensberger in einer Pappschachtel im Keller vergessene Briefe, Notizbücher und Fotos von damals gefunden hat. Der alte Enzensberger befragt gewissermaßen den jungen - nach dem Motto: "Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?" Enzensberger war kein Vorkämpfer der Studentenbewegung - das war gar nicht seine Generation. Aber er war doch dicht dran, an der APO und auch an der Kommune 1 zum Beispiel, die sich 1967 gegründet hatte. Zu den interessantesten Passagen gehört Enzensbergers Nachdenken über die RAF. Die RAF erschien ihm als "Gespensterarmee" und Andreas Baader als "abscheulich", schreibt er. Das Abgleiten in den Terrorismus sah er als Irrweg, mit dem er nichts zu tun haben wollte.
"Tumult" ist eine ausgesprochen anregende Lektüre und liest sich auch wegen Enzensbergers Vorliebe für klare Sprache angenehm: keine Bandwurmsätze, keine Phrasen, keine Schnörkel. (dpa)
- Hans Magnus Enzensberger: "Tumult", Suhrkamp, 285 Seiten, 21,95 Euro
© 2014 Neue Westfälische - Dienstag 11. November 2014