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Gedenkkultur: Namen sind kein Tabu (mehr) - Zum Volkstrauertag | impuls für die woche -153

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Ja - sagt dieser Gnom Rumpelstilzchen im Grimm-Märchen zu der Königstochter - wenn Du meinen Namen errätst - darfst Du dein Kind behalten ...
Wir erkennen schemenhaft in diesem Märchen bereits, welch eine Be-Deutung der persönliche Namen hat - mit einem Schlag sind wir bei einer Namensnennung "entpuppt" und identifiziert und es wird etwas "bekannt" - wir werden einmalig - unverwechselbar - wir tragen einen anderen Namen als vielleicht unser Zwillingsbruder - der uns sonst bis aufs I-Tüpfelchen gleicht ... Der Name ist ein machtvolles Merkmal. Er bestimmt unseren Personalausweis - er weist uns an er weist uns aus - ein Vermächtnis der Eltern (NOMEN EST OMEN) - er unterscheidet uns... macht einmalig ... - 

Und oft sehen wir im Getümmel ein bekanntes Gesicht - und wir grübeln: "Mensch, wie hieß die doch gleich" ... - Wer war das ... ??? - Und wir bekommen ein eigenartiges suchendes Gefühl - und erst dann, wenn uns dann der korrekte Name wieder eingefallen ist, wenn der uns wieder "präsent" ist, spüren wir direkt sogar eine körperliche Erleichterung ... Jemanden zu kennen, dessen Name uns nicht einfällt, macht unruhig und unsicher ... Manchmal ist es wie in diesem Rumpelstilzchen-Märchen: Der Name eines Wesens nimmt ihm die Unberechbarkeit, kennzeichnet ihn, macht ihn wieder auffindbar - und macht uns damit sicherer in unserer Orientierung ... 

Eingangsspruch Haus Patmos, Bethel
Und Gott hat uns in Jesaja 43,1 zugesagt: 
"ICH HABE DICH BEI DEINEM NAMEN GERUFEN - DU BIST MEIN...".

Dieser Spruch stand zu meiner Zeit dort eingemeißelt am Eingang des Hauses Patmos in Bethel, seinerzeit ein Wohnheim für schwerstmehrfachbehinderte Kinder und Jugendliche, in dem ich damals fast 10 Jahre gearbeitet habe mit den zumeist schwer epilepsiekranken Kindern, die immer dann zu Einzelindividuen aufblühten, wenn wir uns ganz natürlich ihnen oft sprachlos zuwandten und uns auf ihre besondere und oft beglückende nonverbale Kommunkationsschiene einließen, wenn wir ihre Unverwechselbarkeiten lernten zu akzeptieren und zu differenzieren, wenn wir ihre Persönlichkeit achteten - und sie somit einzeln und unverwechselbar bei ihren Namen nannten ...

Wie uns alle hatte Gott natürlich auch diese Kinder gemeint, auch diese Kinder bei ihrem Namen gerufen ...

Bei Gott ist der Begriff der "Inklusion" nie ein Thema - erst durch unser Leistungsdenken und unsere Hybris wurde und wird immer wieder versucht, Menschen mit Schädigungen und Behinderungen auszugrenzen - wenn wir für ihre zweifellos ebenso vorhandenen Fähigkeiten keine Verwendung und kein Verständnis in unserer Gesellschaft entwickeln konnten und können - und ihre Besonderheiten nicht als kulturellen Zugewinn akzeptieren können. Mit einem Ausgrenzen - einer "Exklusion" - ging einher, dass Namen einfach vergessen wurden - und Individuen in der Anonymität verschwanden ...

In der Gedenkkultur zum 1. Weltkrieg und zum 2. Weltkrieg und dem Holocaust und den NS-"Euthanasie-Opfern" werden zwar oft fast unvorstellbare Opferzahlen skizziert, jedoch die Namen der Opfer werden auch von den Archiven und Forschungsinstituten gern ausgeblendet - angeblich "zum Schutz" der noch lebenden Familienmitglieder, die ja jahrhundertelang durch den Familiennamen verbunden bleiben ...: Der Name ist oft auch ein "Genealogischer Ahnenpass" - aber oft genug mit einer deutlichen Bevorzugung der "männlich-väterlichen Linie" ... - und dann ist es gar nicht mehr so weit bis zum Rassedenken und zur Eugenik ...  - und zur pränatalen Untersuchung, um möglichst pflegeleichten leistungsfähigen Nachwuchs zu züchten bzw. zu klonen ... - und die "Fehlbildungen", die oftmals erst späterhin die Einzigartigkeit des Individuums ausmachen können, rechtzeitig abzutöten ...


Stolperstein ERNA KRONSHAGE
in BI-Sennestadt
Mit der Legung der "Stolpersteine" durch den Künstler Gunter Demnig begann dann vor 10-15 Jahren ein allmähliches Umdenken in der Belastung durch Opfertod und Massenmord mittels schamhaften Verschweigen und mit dem Ausblenden der jüdischen und den eben nicht so industriell-kapitalistisch funktionierenden Vorfahren und Familienmitgliedern: Mit der Nennung der Namen und mit dem Beknntnis zur Verwandtschaft befreit sich aber auch der Verwandte und die Familie: In der Systemischen Familientherapie werden ja oft genug die kniffligen oft weit zurückliegenden Familiengeheimnisse aufs Tapet gebracht, die latent noch weiter still und oft krankmachend belasten - " bis ins 3. und 4. Glied" ... - erst nach einem oft rollenspielerischen "Durcharbeiten" der Vorfahren- und Familienbiographie mit all ihren Brüchen und Verfehlungen entlastet sich die "Schuld", das durchschleppende "schlechte Gewissen", die man meint immer noch in sich zu tragen ...

Gunter Demnig sagt aber auch deutlich, der Stolperstein sei kein hochstilisierter Ersatz-Grabstein - und ein alleinlaufender Hund dürfe ihn dann schon einmal beschmutzen und Schneereste können bis zur Schmelze auf ihm liegen, und das "Stolpern" geschehe durch Innehalten und der Kopf(ver)neigung beim Lesen und Buchstabieren des Opfernamens - und dem Wahrnehmen seines Schicksals ...: Die Namen einfach wieder in Alltag integrieren ...


Leucht-Namensband Gütersloh
Dieses "Offenlegen" der Klarnamen der Opfer setzt sich jetzt immer mehr durch: In Gütersloh in der LWL-Klinikkirche werden nun - nach 70 Jahren - die 1.017 Namen auf einem Leucht- und Namensband genannt, die von Gütersloh aus in Vernichtungskliniken deportiert wurden ... Jedes dieser Euthanasieopfer ist auf er- und be-leuchtenden, die Wände des inneren Kirchenschiffs umlaufenden Paneelen verzeichnet. Die Nennung der Namen - darunter auch meine Tante ERNA KRONSHAGE (zu einer Fülle von Infos dazu einfach den Namen googeln) - machen uns klar, dass wir eben nicht vor einer anonymen, unvorstellbar großen Menge stehen, sondern dass es Menschen aus unserer unmittelbaren Umgebung waren, die vernichtet wurden. Dieses Bewusstsein können nur lokale Orte des Gedenkens schaffen, und die die Namen veröffentlichen. Ein Großteil wurde in der Gaskammer von Hadamar, der zentralen Tötungsanstalt für die westfälischen Patienten, oder zum Beispiel in den Tötungsanstalten im besetzten Polen in Meseritz-Obrawalde oder Tiegenhof/Gnesen ermordet. Diese Menschen starben gezielt und planvoll durch Überdosen an Medikamenten, durch Hunger, Kälte und katastrophale hygienische Verhältnisse in den Durchgangs- und Zielanstalten. Neben diesem beeindruckenden Leucht- und Namensband - graphisch gestaltet vom Bielefelder Designer Mario Haase - komplettieren ein "Rundgang zur Klinikgeschichte" auf dem Friedhof und ein "Stein des Gedenkens" mit einer Inschriftplatte diese Verortungen des "Erinnerns und Gedenkens" - nun endlich - nach Jahren des würdelosen vornehmlichen Verschweigens ...


"Ring der Erinnerung" mit 580.000 Namen - Video-Still


Und in diesen Tagen entstand in Nordfrankreich ein Denkmal zum Ersten Weltkrieg mit den eingravierten Namen von 580.000 getöteten Soldaten, den sogenannten "Ring der Erinnerung" am Soldatenfriedhof Notre-Dame-de Lorette in der Nähe von Lens ... - also auch dort in hervorragender typographischer Gestaltung - die Namensnennung von bisher anonymen Gefallenen aus aller Herren Länder ...
"Ring der Erinnerung" mit 580.000 Namen - Video-Still






PLAYLIST: GEDENKKULTUR - NAMEN NENNEN ....




Vielleicht müssen auch wir hier - bei unserem Sterben - den Trend zum anonymen Urnengrab auf dem ungekennzeichneten grasbewachsenen Gräberfeld nochmal überdenken: aber Gottes Zuspruch bleibt auch für ein solches Grab ohne Namen bestehen: 

"ICH HABE DICH BEI DEINEM NAMEN GERUFEN - DU BIST MEIN...".




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