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21.000 "getötete" Patienten pro Jahr ... ???

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Wissen - DIE ZEIT No. 14 | S. 33/34  ·  Josephina Maier, Jan Schweitzer 





21 000 getötete Patienten pro Jahr. Kann das stimmen?
Diese Horrorzahl wurde gerade in die Welt gesetzt. Wo sie herkommt, was dran ist – wir haben den Urheber gefragt


»21 000 getötete Patienten pro Jahr in deutschen Krankenhäusern und Heimen?« Es kommt nicht allzu oft vor, dass ein Sachbuch mit solchen Worten angekündigt wird. Der Verlag Droemer verschickte für Ende März eine Einladung mit dieser Formulierung. Sie sollte auf das neue Buch »Tatort Krankenhaus« hinweisen, in dem von dieser Zahl die Rede ist – und das am Mittwoch dieser Woche in einer Diskussionsveranstaltung mit dem Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach (SPD) vorgestellt werden sollte. Wir verabredeten uns vorab mit Karl H. Beine, der das Buch zusammen mit der Journalistin Jeanne Turczynski geschrieben hat, in seinem Büro am St. Marien-Hospital in Hamm. Er ist dort Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. Beine lehrt zudem als Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Witten/Herdecke.

ZEIT: Herr Beine, Sie haben inzwischen Ihr drittes Buch über Tötungen im Krankenhaus geschrieben. Warum beschäftigt dieses Thema Sie so sehr?

Beine: Ich habe in den neunziger Jahren in einer Klinik in Nordrhein-Westfalen gearbeitet, in der ein Krankenpfleger überführt wurde, der Patienten getötet hat. Diesen Pfleger kannte ich, und einen Patienten, den er umgebracht hat, kannte ich auch. Das hat mich damals tief bewegt.

ZEIT: In Ihrem neuen Buch schreiben Sie, in Krankenhäusern und Heimen könnte es zu mehr als 21 000 Tötungen gekommen sein – in einem Jahr. Wie kommen Sie auf eine so große Zahl?

Beine: Mehr als 5000 Ärzte und Pfleger in ganz Deutschland haben einen Fragebogen ausgefüllt, auf dem unter anderem diese beiden Fragen standen: »Haben Sie selbst schon einmal aktiv das Leiden von Patienten beendet?« Und: »Haben Sie in den vergangenen zwölf Monaten schon einmal von einem oder mehreren Fällen gehört, bei denen an Ihrem Arbeitsplatz das Leiden von Patienten aktiv beendet wurde?« Aus den Antworten haben wir diese Zahl errechnet.

ZEIT: Wie haben Sie die Teilnehmer der Befragung ausgewählt?

Beine: Wir haben alle Krankenhäuser und Pflegeheime in Deutschland angeschrieben, per Mail und per Post.

ZEIT: Das heißt, die Leute haben selbst entschieden, ob sie an der Umfrage teilnehmen. Und sie wussten auch, worum es im Fragebogen geht?

Beine: Ja.

ZEIT: Dann liegt es nahe, zu unterstellen: Klinikangestellte, die solche Fälle mitbekommen haben und sich darüber Sorgen machen, nehmen eher an der Befragung teil. Könnte das nicht zu einer Verzerrung führen?

Beine: Ja, diese Gefahr besteht. Aber das ist bei Befragungen immer so. Über diejenigen, die nicht geantwortet haben, lässt sich trefflich spekulieren.

ZEIT: Sie kommen, ausgehend von Ihrer Befragung, auf 14 461 Tötungen in Krankenhäusern und 6857 Tötungen in Heimen. Wie genau sind Sie zu diesen Zahlen gelangt?

Beine: Wir haben die Ergebnisse aus den Fragebögen auf die Gesamtzahl der in Krankenhäusern und in Pflegeheimen tätigen Krankenpfleger, Altenpfleger und Ärzte bezogen.

ZEIT: Das heißt, Sie haben die Stichprobe behandelt, als sei sie repräsentativ.

Beine: Nein, wenn ich das getan hätte, dann hätte ich das als Hochrechnung bezeichnet, nicht als empirische Schätzung. Darauf wird im Buch ausdrücklich hingewiesen. Deshalb stehen die Aussagen über die Zahl der Tötungen auch überall im Konjunktiv. Und es heißt ausdrücklich, dass sich hinter »aktiv beenden« sehr unterschiedliche Tötungsdelikte verbergen können.
Tatsächlich nutzt Beine im Buch konsequent den Konjunktiv und sagt, dass die Befragung nicht repräsentativ sei. Doch obwohl er im Interview nicht den Begriff »Hochrechnung« verwenden will, finden wir bei erneuter Lektüre seines Buchs folgende Formulierung: »Rechnet man diese Zahlen auf die Gesamtheit aller in Deutschland tätigen Ärzte und Pflegekräfte in Krankenhäusern und Heimen hoch, würde sich folgendes Bild ergeben […]« (»Tatort Krankenhaus«, Seite 12)
ZEIT: Aber sind in dieser Zahl, 21 000, nicht auch viele Fälle von passiver Sterbehilfe enthalten? Wenn ein Arzt etwa einer Patientin, die bald sterben wird, Morphium spritzt, um ihre Schmerzen zu lindern, nimmt er damit oftmals in Kauf, dass er damit ihr Leben verkürzt. Dieser Mediziner hätte auf Ihre Fragen vielleicht genauso mit Ja geantwortet wie mancher Arzt, der auf der Intensivstation arbeitet und eine lebensnotwendige Maschine bei einem todgeweihten Patienten nicht weiterlaufen lässt ...

Beine: Das kann ich nicht ausschließen. Unsere Fragen lassen sicher einen Interpretationsspielraum. Aber: »Aktives Beenden« ist in meinen Augen etwas anderes als Beihilfe zum Suizid oder die Behandlung von Schmerzen, wenn dabei unbeabsichtigte Nebenwirkungen auftreten, die den Sterbevorgang verkürzen.

ZEIT: Was glauben Sie: In wie vielen der 21 000 Fälle ging es um passive Sterbehilfe?

Beine: Das kann ich Ihnen nicht sagen.

ZEIT: Die deutliche Mehrheit?

Beine: Ich würde mich da ungern festlegen. Wie häufig die spezifische Kombination aus Persönlichkeitsmerkmalen und Arbeitsbedingungen wirklich zu einer Tötungsserie führt, können wir auch jetzt nicht sagen. Da muss weiter geforscht werden. Aber immerhin sind in den vergangenen Jahren allein im deutschen Sprachraum zehn Tötungsserien bekannt geworden. Außerdem bin ich in den vergangenen 25 Jahren häufiger um Beratung bei suspektem Verhalten gebeten worden. Erst Anfang März 2017 hat ein Altenpfleger aus Rheinland–Pfalz gestanden, dass er eine Heimbewohnerin getötet hat. Aus all diesen Gründen fällt es schwer, die Behauptung von den Einzelfällen aufrechtzuerhalten.

ZEIT: Warum haben Sie im Fragebogen die Formulierung »Haben Sie selbst schon einmal aktiv das Leiden von Patienten beendet?« verwendet und nicht geschrieben »das Leben beendet«?

Beine: Weil es ein besonders schwieriges Thema ist. Ich konnte ja nicht fragen: »Haben Sie schon einmal einen Patienten getötet?« Die Fragestellung führt dazu, dass man etwas mehr erfährt, obwohl die Formulierung Interpretationsspielraum bietet.

ZEIT: Aber war es nicht Ihr Anliegen, vorsätzliche  Tötungen aufzudecken? Mit dem Begriff »Leiden« haben Sie wahrscheinlich, wie Sie selbst sagen, eine große Zahl von Menschen miterfasst, die keine aktive Tötung begangen, sondern passiv Sterbehilfe geleistet haben. Situationen, über die wohl viele sagen würden: Das kann man nachvollziehen. Wenn Sie nach »Leben beendet« gefragt hätten, wären Sie wahrscheinlich zu einer viel kleineren Zahl gekommen.

Beine: Ich hätte womöglich gar keinen Rücklauf bekommen. Hinter der Entscheidung für die Formulierung steht eine pragmatische Abwägung, wir haben lange darüber beraten.

ZEIT: Sie hätten im Buch auch die Zahl der Pfleger und Ärzte nennen können, die in Ihrer Stichprobe mit Ja geantwortet hat. Wieso haben Sie überhaupt hochgerechnet?

Beine: Ich habe die Zahlen nicht als Hochrechnung deklariert, sondern als empirisch basierte Schätzung. Das habe ich getan, um die These zu erschüttern, dass es sich um Einzeltaten handelt. Genau diese These wird immer wieder vorgetragen von den Verantwortlichen aus der Selbstverwaltung und aus der Politik. Das bedarf der Überprüfung, das müssen wir weiter erforschen. Darum geht es mir.

ZEIT: In der Ankündigung zu Ihrem Buch steht: »Tausende Patienten bezahlen das mit ihrem Leben.« Auf der Verlagsseite steht, dass Sie und Ihre Co-Autorin »einen Skandal von ungeheurem Ausmaß« aufdecken.

Beine: Das ist die Pressemeldung für das Buch, für das wir stehen.
Wir erleben Beine als äußerst zurückhaltenden Menschen. An einer Stelle des Interviews müssen wir ihn bitten, das Fenster in seinem Büro zu schließen, weil seine Stimme gegen den Baulärm nicht ankommt. Als wir auf die reißerischen Formulierungen zu sprechen kommen, wird er unruhig, nimmt sich sein Notizbuch. Er scheint sich mit der Wortwahl unwohl zu fühlen – und trotzdem hat er sie mitgetragen.
ZEIT: War das Ihr Antrieb, dass Sie die Welt auf dieses Problem aufmerksam machen wollten? Dass in den Krankenhäusern etwas passiert, von dem viele vielleicht nichts ahnen?

Beine: (überlegt) Ja. Das stimmt schon: Ich will darauf hinweisen, dass es in unserem Gesundheitssystem an dieser Stelle ein Problem gibt, auf das wir sehr genau achten müssen.

ZEIT: Wenn man als Laie diese Zahl sieht, 21 000 Getötete, da bekommt man doch Angst, ins Krankenhaus zu gehen. Was würden Sie einem Leser raten?

Beine: Die Augen offen zu halten. Auf die Atmosphäre zu achten. Wie sprechen die Ärzte und Pfleger mit ihm? Sprechen sie überhaupt mit ihm? Er sollte sich darauf einstellen, dass Angestellte in Krankenhäusern extrem gestresst und genervt sein können. Und sich umhören, welche Klinik andere ihm empfehlen.

ZEIT: Was antworten Sie, wenn ein Leser fragt, ob er Angst haben muss, in eine Klinik zu gehen?

Beine: (langes Schweigen) Ich würde sagen, du musst keine Angst haben, aber pass auf.

ZEIT: Über diese Frage mussten Sie jetzt lange nachdenken.

Beine: (sehr energisch) Ja! Weil ich abwägen musste, wie viel ich gesehen und gehört habe in all den Jahren – und welche Konstellationen ich kenne. Die Angst sollte nicht so groß sein, dass man sich als Patient medizinisch notwendigen Eingriffen in Krankenhäusern nicht unterzieht. Aber die Patientensicherheit ließe sich eben noch deutlich verbessern. Das fängt bei verbalen Grobheiten und Behandlungsfehlern an und kann im Extremfall mit medikamentös herbeigeführten Todesfällen enden. Deshalb plädiere ich im Buch für Patientenschutzbeauftragte in den Kliniken.

Bei dieser Antwort erhebt Beine zum ersten Mal die Stimme. Vielleicht realisiert er erst jetzt, dass die Zahl, die er da in die Welt gesetzt hat, vielen Patienten einfach Angst machen könnte.

ZEIT: Missstände gibt es nicht nur in Krankenhäusern und Pflegeheimen. Verbale und körperliche Gewalt kommt auch in der häuslichen Pflege vor, zwei Drittel der Pflegebedürftigen in Deutschland werden ja zu Hause versorgt. Wo sollen sich Patienten und Pflegebedürftige überhaupt noch sicher fühlen?

Beine: Es gibt meines Wissens keine empirische Studie über häusliche Gewalt gegen Pflegebedürftige, aber auch da hören wir immer wieder von spektakulären Einzelfällen, ohne das Dunkelfeld zu kennen. Letztlich wissen wir nicht, wo der sicherere Ort ist.

ZEIT: Sie haben die Ergebnisse Ihrer Befragung nicht in einem Forschungsjournal publiziert, wo sie vor der Veröffentlichung von Fachkollegen geprüft worden wäre, sondern in einem populären Sachbuch für das breite Publikum. Wieso? Weil Sie auf diesem Weg am meisten Menschen erreichen?

Beine: Ja, ich erreiche dadurch mehr Leute – und das wollte ich auch. Dieses Anliegen habe ich, und ich sehe mein Buch als Debattenbuch. Ein Teil des Datensatzes ist übrigens wissenschaftlich aufbereitet worden und bei einer wissenschaftlichen Zeitschrift zum Peer-Review eingereicht.
Als Psychiater hat Beine einige der spektakulärsten Tötungsserien in Kliniken untersucht. Im Gespräch kommt er mehrmals darauf zurück: Bei fast allen Tätern habe es klare Anzeichen gegeben, die vom Umfeld übersehen oder nicht beachtet wurden. Wir werden das Gefühl nicht los, dass Beine angesichts dessen bis heute fassungslos ist. Eine Mitschuld gibt er dem Gesundheitssystem, das die Tötungen möglich gemacht habe. Diese These ist zwar plausibel, er kann sie mit seiner Umfrage aber nicht beweisen. Und auch in seinem neuen Buch werden immer wieder Einzelfälle als Beleg dafür angeführt, dass etwas systematisch schiefläuft.
ZEIT: Was muss sich Ihrer Meinung nach im Gesundheitssystem ändern, damit Patienten mit einem besseren Gefühl in die Klinik gehen können?

Beine: Die Politik muss gesetzlich sicherstellen, dass genug Ärzte und Pfleger für die Behandlung und Betreuung der Patienten vorhanden sind. Außerdem müssen wir die Zahl der Kliniken reduzieren. Im Moment nehmen viele Häuser Eingriffe vor, für die sie gar nicht geeignet sind. Das Problem, dass wir zu viele Krankenhäuser haben, soll offensichtlich über den Wettbewerb gelöst werden: Irgendwann ist ein Haus pleite. Aber bis es so weit ist, rüsten die Kliniken technisch immer weiter hoch, in der Hoffnung, dass es den Konkurrenten früher trifft. Und wir brauchen eine andere Fehlerkultur.

ZEIT: Können Sie das genauer ausführen?

Beine: Es darf kein Wettbewerbsnachteil für Kliniken sein, wenn dort offen über Fehler gesprochen wird, im Sinne von »Das ist nicht gut für unser Haus«. Wir müssen die zukünftigen Pfleger und Ärzte schon in der Ausbildung ermuntern, Fehler zuzugeben. Sie müssen verstehen, dass das keine Schwäche ist, sondern ein Akt von Souveränität. Ein Chef darf nicht auf denjenigen einprügeln, der etwas falsch gemacht hat. Egal, wie schlimm die Folgen des Fehlers sein mögen: Es muss klar sein, dass es besser ist, offen darüber zu sprechen, als ihn zu vertuschen.

ZEIT: Sie sind selbst Chefarzt. Was können Vorgesetzte dazu beitragen?

Beine: Für mich ist ein zentraler Punkt: Vorgesetzte müssen sich wirklich dafür interessieren, wie es ihren Mitarbeitern und den Menschen geht, die von ihnen versorgt werden. Damit nicht diese Laisser-faire-Stimmung entsteht, wo die Leute das Gefühl haben: Es ist egal, was wir hier machen, das kriegt ohnehin keiner mit.

ZEIT: Sie plädieren in Ihrem Buch dafür, dass angehende Mediziner und Pfleger besser ausgewählt werden sollen. Gleichzeitig kritisieren Sie, dass es nicht genug Personal gebe. Das ist ein Widerspruch.

Beine: Ich hoffe, dass das Krankenhaus als Arbeitsplatz für Ärzte und vor allem Pfleger wieder attraktiver wird, wenn wir Kurskorrekturen am Gesundheitssystem vornehmen. Wenn Medizin und Pflege weniger durch wirtschaftliche Zwänge dominiert werden, schafft das Gestaltungsspielraum, und das ist es, was an diesen Berufen eigentlich Freude macht.

ZEIT: Am Ende des Buches steht der ehrliche Satz: Wir werden uns nicht jede Technik und alle Medizin zu jedem Preis für alle leisten können. Woher soll das Geld kommen für die Maßnahmen, die Sie fordern?

Beine: Wir haben in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern zum Beispiel zu viele Implantationen von künstlichen Hüftgelenken, zu viele Rückenoperationen und Kniegelenkspiegelungen. Weil diese Eingriffe den Krankenhäusern Geld bringen. Wenn man dafür sorgen würde, dass sie wirklich nur durchgeführt werden, wenn sie medizinisch sinnvoll sind, hätten wir sicher kein Geldproblem. Ich bin davon überzeugt, dass unserem Gesundheitswesen alles Mögliche fehlt, aber kein Geld.

Nach dem Gespräch mit Karl Beine ist aus unserer Sicht klar: Die Zahl, die uns zu ihm geführt hat, lässt sich so nicht halten. Andererseits treibt den Buchautor ein Anliegen um, das wir nachvollziehen können. Er will auf Missstände im Gesundheitssystem aufmerksam machen. Und die gibt es ohne Zweifel. Der Weg, den er dafür gewählt hat, ist unserer Meinung nach der falsche.


wir dürfen bei solchen horror-zahlen nicht äpfel mit birnen verwechseln. natürlich ist angesichts der apparate-medizin im computer-zeitalter dem arzt - aber auch den nahen anverwandten - eine große verantwortung übertragen: 

da menschliches leben "künstlich" erhaltbar ist, muss man sich entscheiden, wann man ethisch und moralisch ein solches leben beenden darf oder auch vielleicht "sinnvoll" beenden muss ...

wir haben in dieser beziehung dem lieben gott seine alleinige entscheidung aus der hand genommen - aber vielleicht hat er sie auch an uns delegiert ...

eine human verträgliche und allseits kommunizierte passive sterbehilfe - wie sie in seriösen palliativ-stationen bei bedarf geübt wird - ist meines erachtens keine "patienten-tötung" im eigentlichen sinne - zumeist gibt es ja vielleicht entsprechende verfügungen und äußerungen, die das so nahelegen.

allerdings widerspricht die zunehmende krankenhaus-industrialisierung und die unsäglichen vorausbestimmungen einer buchhalterischen plan-/sollzahl der bettendurchlaufzahlen sowie die abrechnung in altenheimen nach puren "betten-tagen" einer humanen und begleiteten ethisch verantwortbaren sterbepraxis, wie sie sicherlich von allen - ob atheist oder christ oder muslim oder buddhist usw. erwartet wird in seinem jeweiligen letzten stündchen ...

hier ist schleunigst nachzubessern: es heißt ja "humanmedizin" und nicht "fallzahlmedizin" - noch ...


Am besten nicht mal ignorieren... - Droste trifft Brok

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Droste trifft Brok - die Aussprache nach 38 Jahren

Doppelinterview: Ihre Geschichte beginnt in den 1970er-Jahren mit einem Konflikt vor dem Ausschuss für Kriegsdienstverweigerer. Fast vier Jahrzehnte danach sprechen der Satiriker und der Politiker über das, was damals war - und erleben eine Überraschung

Herr Brok, erinnern Sie sich noch an den Kriegsdienstverweigerer Wiglaf Droste? Sie haben vor knapp 38 Jahren sein Gewissen geprüft. Er ist durchgefallen.

Elmar Brok: Nein. Mein Bauchgefühl in diesem Gremium war auch immer: Es trifft die falschen. Das war nicht lustig. Damals gab's regelrechte Schulungen für Leute, die Kriegsdienstverweigerer werden wollten. Die waren clever. Diejenigen, die nicht so clever waren, verfingen sich in den Fragen. Ein Gewissen kann man nicht erforschen. Wenn einer geschickt lügt, isses so.

links (!): wiglaf droste - rechts: elmar brok | S!-bearbeitung nach einem foto von ulf hanke - nw


Wiglaf Droste: Gewissen misst sich an dem, was man getan hat und wie man sich dazu stellt. Als 17-Jähriger hat man außer Schule, Sport und ersten Kontakt zu Mädchen noch nicht groß etwas vorzuweisen, wie soll man da von Gewissen sprechen? Bei einem 50-jährigen Aufsichtsrat käme eventuell etwas mehr auf dem Kerbholz zusammen.

Wie wurde denn das Gewissen geprüft?

Brok: Ich nehme jetzt doch noch etwas Salz, wie Sie's im Profil angekündigt haben.

Droste: Einen Sack Salz auf das Brot! Da gab es die klassischen Fangfragen. Wenn man eine ehrliche Antwort gab, hatten sie einen. Soll man sagen, man ist Buddhist? Ist doch Quatsch. Beim zweiten Verfahren ist mein Antrag durchgegangen, und der ganze Käse war vom Tisch.

Sie haben dann Zivildienst gemacht?

Droste: Ich war beim Arbeiter-Samariter-Bund, von sehr arm bis reich war alles dabei. 1980 lebten noch viele überzeugte Nationalsozialisten. Dann steht man vor einem, der fragt: Sind Sie eigentlich als Feigling geboren? Oder haben Sie so schreckliche Eltern? Der ist aber inkontinent, und die innere Stimme sagt: Dass ich dich jetzt wasche und dafür noch einen draufkriege, ist eigentlich einer zu viel, aber ich muss es machen, was soll ich tun?

Brok: Diese Leute gibt es immer noch.

Droste: Es gab auch großartige Begegnungen. Eine ältere Dame zeigte ab und zu Jugendfotos mit schelmischem Lächeln: Na, Jungs, da hätte ich euch ganz schön schwindelig gespielt, damals. Sie hatte noch einen Wunsch, wollte unbedingt an die See, konnte aber nicht mehr gut laufen und hatte auch keine Verwandten. Ein Kollege und ich haben beschlossen: Der Dienstwagen muss herhalten. Wir hatten einen wunderbaren Tag am Meer, haben die Karre Sonntag wieder in die Garage gefahren und am Montag flippte der Dienststellenleiter total aus. Es gab Einzelgespräche mit allen zehn Zivis, aber alle haben dichtgehalten.

Haben Sie auch Zivildienst geleistet, Herr Brok?

Brok: Nein, ich bin Ersatzreserve Zwo und durfte in Friedenszeiten nicht eingezogen werden, weil ich mein rechtes Auge mit sechs Jahren durch Krebs verloren habe. Seitdem trage ich ein Glasauge. Ich bin aber gemustert worden, habe einen Wehrpass und hätte im Kriegsfall eingezogen werden können.

Droste: Da waren Sie zu einer Art Volkssturm eingeteilt.

Brok: ... und hätte mit 'nem Holzgewehr die Lutterbrücke bewacht. Ich hätte gern die Bundeswehr gemacht. In jungen Jahren hat mich das Glasauge sehr viel mehr gestört als heute.

Und trotzdem haben Sie Sport betrieben.

Brok: Ich habe Fußball gespielt, Mittelfeld, hatte sogar ein Bundesligaangebot. Meine Mutter hat den Vertrag aber nicht unterschrieben. Sie fand das für ihren Jungen zu gefährlich. Damals wurde man erst mit 21 volljährig. Ich habe bei 08 Paderborn in der ersten Mannschaft gespielt, dem heutigen SC Paderborn, eine erfolgreiche Mannschaft. Ein knappes Jährchen durfte ich bei den Junioren vom 1. FC Köln mitmachen, habe noch mit Heinz Flohe trainiert. Ich hatte aber die Härte nicht und auch nicht den Antritt. Jetzt bin ich Schalke-Mitglied und bei den Arminen. Zwei Notfälle.

Droste: Oha!

Brok: Sie sind für Borussia? Nix ist vollkommen.

Ein unüberbrückbarer Unterschied!

Brok: Mehr ein kultureller, als ein sportlicher.

Droste: Jetzt wird er aber richtig wild!

Brok: Das ist in Ostwestfalen ja so: Man ist Schalker oder Borusse, Arminia Bielefeld oder der SCP ist natürlich der Zweitclub.

Droste: Arminia ging bei mir nicht. Ich war zehn, als es den Bestechungsskandal gab.

Ihnen beiden liegt Schottland sehr am Herzen. Warum?

Brok: Schottland war die schönste Zeit meines Lebens. Meine Frau ärgert sich schwarz, wenn ich das sage, weil ich sie 14 Tage nach meiner Rückkehr kennengelernt habe.

Droste: Wer will schon die Zweitschönste sein?

Brok: Sie ist die Schönste und mein Glück. Aber es war mein letztes Jahr in "Freiheit". Nach meinem Volontariat beim Deutschlandfunk habe ich 1969/70 ein Jahr an der Uni Edinburgh Europarecht studiert. Mein Sohn hat mir zum 70. Geburtstag eine Reise nach Schottland geschenkt. Er und ich. Es hat mich glücklich gemacht.

Droste: Ich war letzten Sommer erst in Schottland, es gibt da eine alte Familienfreundschaft, die sich auf Kinder und Enkel übertragen hat. Mit zehn war ich das erste Mal da. Mein Neffe hat in Schottland studiert, mein Bruder ist regelmäßig da. Das war immer besonders. Die Deutschfreundlichkeit der Schotten hatte auch damit zu tun, dass die Deutschen gegen die Engländer gekämpft haben.

Brok: Ich hatte damals einen alten VW-Käfer, jeder Kotflügel eine andere Farbe. Damit bin ich in die Highlands gefahren. Die Eltern einer Bekannten hatten ein Sommerhäuschen auf der Isle of Skye, einer der schönsten Plätze dieser Erde. Ich hatte sie auf einer Studentenparty kennengelernt und fuhr mit ihr zu einem Fußballspiel der Glasgow Rangers. Wir hatten uns gerade hingesetzt, da schlug mir einer von hinten mit beiden Pranken auf die Schultern. Ich sprang auf, drehte mich um - und habe um ein Autogramm gebeten: Da stand Sean Connery.

Herr Brok, denken Sie mit Ihren 70 Jahren nicht langsam an Ruhestand?

Brok: Nicht im Ernst, aber Adenauer war 73, als er Bundeskanzler wurde.

Sie könnten Bücher schreiben, zum Beispiel übers Essen. Vielleicht schreiben Sie eins zusammen?

Brok: Ein OWL-Currywurst-Führer wär? doch was! Ich bin in meinem Leben schon bei so einigen Imbiss-Buden eingekehrt.

Sie könnten beide den Gürtel noch weiter schnallen.

Droste: Wir wollen eigentlich über Currywurst sprechen, aber ich muss Ihnen ein Kompliment machen, Herr Brok. Ich gucke mir Talkshows nur an, wenn ich beruflich muss, und fand beeindruckend, wie Sie mit Herrn Sarrazin fertig geworden sind, von dem ich nicht weiß, was der in der SPD will. Sarrazin sagte immer "Faktor fünf". Ich dachte, ich dreh? durch, kann man Menschen auf die Geburtenrate reduzieren? Sie kamen dann so richtig aus dem Sulky und sagten: Ich habe drei Kinder, finden Sie mich auch asozial? Großartig! Das war genau die richtige Antwort, auch wenn die in den nicht mehr eindringt. Da muss erst ein gestandener CDU-Mann kommen, um einem vermeintlichen Sozialdemokraten einen Rest von Humanismus beizubringen!

Brok: Bei Sarrazin ist das nur noch Geschäftsmodell. Er hatte einen Riesenerfolg mit seinem Buch. Wie das immer ist, muss noch einer oben drauf gesetzt werden. Die Populisten wollen, dass wir uns aufregen und tun so, als würden wir, die sogenannten Altparteien, die Wahrheit verschweigen. In den 1930er Jahren hat Joseph Goebbels noch von Systemparteien gesprochen, damit ist aber dasselbe gemeint. In den Talkshows muss ich mich dann rechtfertigen und nicht diese Populisten.

Droste: Der Witz ist doch: In diesem Land darf man fast alles sagen, nur haben die Rechten nicht gelernt, die Antwort zu ertragen, also dass auf Rede auch Gegenrede folgt. Wenn jemand außerhalb ihres Dunstkreises redet, ist das gleich eine Einschränkung ihrer Meinungsfreiheit. Eigentlich ist das kein politisches, sondern ein psychiatrisches Problem. Wenn man sagt: Wir laden die AfD nur ein, um sie vorzuführen, dann müsste man das aber auch können.

Brok: Die historische und philosophische Bildung muss stark sein. Die Bratpfanne hilft da nichts.

Wie sollten die Medien mit dem Rechtspopulismus umgehen?

Brok: Die Wahrheit sagen, klarmachen, was richtig und was falsch ist. Und nicht alles hochziehen. Wir haben in Westfalen einen schönen Ausdruck: Am besten nicht mal ignorieren. Das wäre ein harter Schlag für die.

Droste: Substanziell existieren die gar nicht. Die sind, wenn man so will, Vampire, leben von der Substanz anderer.

Haben Sie nie mit dem Gedanken gespielt, in die Politik zu wechseln, Herr Droste?

Droste: Das würde ich mir nicht zutrauen. Ich hätte große Mühe, nicht hinter meine pazifistische, gewaltlose Überzeugung zurückzufallen, wenn ich mit jemandem wie Herrn Erdogan an einem Tisch säße. Da könnte ich nicht nur aus der Haut fahren.

Brok: Herr Erdogan ist noch einer der sanfteren Gesprächspartner und tobt nur öffentlich. Man könnte mit zwei Dritteln der Staatspräsidenten dieser Erde nicht mehr reden. Über die Freilassung des Ehepaar Yunus musste ich mit Herrn Alijew verhandeln, dem Präsidenten von Aserbaidschan. Das Paar wäre im Gefängnis gestorben, wenn wir nicht organisiert hätten, dass sie dort von einem deutschen Arzt behandelt werden. Noch während der Verhandlungen sind Menschenrechtspresseerklärer zweimal den Präsidenten öffentlich angegangen, dass wir hörten: Jetzt ist es grade schlecht für eine Begnadigung. Die beiden haben deswegen über ein halbes Jahr länger im Gefängnis gesessen. Was machen sie jetzt?

Droste: Ich kann mir moralischen Rigorismus auch deswegen leisten, weil ich nicht praktisch Politik mache. Dass ich 1980 die Grünen wählte, ist eine Jugendsünde. Die Grünen haben nicht zwischen Moral und Politik getrennt. Das gibt den Wählern das Gefühl, das Richtige zu tun, ein guter Mensch zu sein. Für Politik ist das aber egal, das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Man sagt ja, das Gewissen eines Menschen ist am reinsten, wenn er am wenigsten Gebrauch davon macht. Ich sehe das anders. Man muss eine Grenze ziehen: Ich verhandele mit denen, aber ich mache mich nicht gemein. Das ist extrem schwierig.

Wir stellen fest: Sie beide sind sich ähnlicher, als wir dachten.

Brok: Ja, die Altersmilde und dann beides Ostwestfalen.

Droste: Die Altersmilde setzt bei mir angeblich auch schon ein. Leser sind Leser, aber es gibt unter ihnen Leute, die sagen: Wo ist diese Schärfe geblieben? Es gibt die Vorstellung, es gäbe "bissige Satiriker". Ein Leser war so penetrant, dem habe ich zurückgeschrieben: Mannscharf sind Schäferhunde, ich war es nie.

Sie beide sind Tabakwaren nicht abgeneigt.

Brok: In einem Ihrer Bücher steht die schöne Geschichte, dass man für das Gute in der Welt auch mal eine Havanna rauchen muss, damit die Mücken vertrieben werden.

Droste: Ja.

Brok: Auf der Fahrt habe ich mir schon eine angesteckt. Auf der Rückfahrt werde ich die zweite Hälfte rauchen.

Droste: Ich hätte jetzt auch eine dabei, aber hier wird es nicht gehen, sonst springt der Brandmelder an.

Brok: Mein Vater rauchte Handelsgold Fehlfarben aus Bünde. Ich durfte ihm aber nie welche schenken. Wenn ihr das macht, sagte er, kann ich nicht mehr zur Mutter sagen: Ich muss mal Zigarren holen. Gegenüber war eine Kneipe, da ging er dreimal täglich Zigarren kaufen und jedes Mal nen Bier, nen Schnaps. Vier Wochen vor seinem 90. Geburtstag ist er an der Bordsteinkante hängen blieben, gestürzt und daran gestorben. Ich will auch 90 werden und den Duft meiner Lieblingskneipe schon in der Nase, tot umfallen. Die Überlegung ist doch nicht so schlecht, oder?

Droste: Das ist ein schönes Ziel, ja.


Das Gespräch hat Ulf Hanke|NW zusammengefasst. Montag,3. April 2017 NW No.79/14 - S.4

  • Elmar Brok, 70, geboren in Verl, macht seit 1980 für die CDU Politik im Europaparlament. Er ist neuerdings Beauftragter der EVP-Fraktion für den Brexit.


  • Wiglaf Droste, 55, ist in Herford geboren, wo der Schriftsteller auch lebt, wenn er nicht gerade unterwegs ist. Er gilt manchen als Kurt Tucholsky unserer Tage.



auch wenn sie im koppe nicht gleich ticken: sie sind ostwestfälisches urgestein - diese beiden ... - und auch bei uns hier ist das so wie im bundesdeutschen leben - zwischen der csu und dem rest der republik: herford liegt eher im norden westfalens - und verl driftet schon etwas nach süden ab - richtung schwarzem paderborn - 


auch ostwestfalen hat ein politisches "südstaatenproblem" ... - und doch sind die gräben nicht so tief als dass man sich nichts mehr zu sagen hätte ... gerade bei äußeren gleichen feinden - wie dem "populismus" von rechts: "am besten nicht mal ignorieren" - da schweißt man sich zusammen und reicht sich sportlich fair die hand ... - und das ist gut so ... S!

Achtung - Sicherheitsbeauftragter

€€€€€€€€€€€€€€€€€uropa - wo ist das denn ...

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jakob - jakob - wie tief bist du gesunken ... ??? - im zweifel: rechts !!!

weißer geht's nicht ...

wo jesus drauf steht - ist nur noch ganz wenig jesus drin ...

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Wer ist der „Messias“ wirklich? - 
WISSENschaftler Thomas Witulski erklärt

"Jesus hat mit seinem frühen Tod nicht gerechnet"

Theologie: Wie aus dem Zimmermannssohn Christus wurde, warum er als Prophet auftrat, was es mit den Wundern auf sich hat und welche Rolle die Evangelisten spielten

Herr Witulski, warum ist gerade Jesus der wohl bekannteste Mensch der Welt?

Thomas Witulski: Schwer zu sagen. Es ist im Grunde ein Rätsel, wie aus einer kleinen Bewegung in Palästina vor etwa 2000 Jahren eine große Weltreligion geworden ist. Alle Zeiten über faszinierend an Jesus ist vielleicht, dass er - soweit wir das wissen - Ernst gemacht hat damit, sich über gesellschaftliche Normen hinwegzusetzen und zu denen gegangen ist, die in der damaligen Gesellschaft eher unten angesiedelt waren wie Prostituierte und Zöllner. Er hat sozusagen einen alternativen Entwurf zum materialistischen Weltbild und zur hierarischen Gesellschaftsordnung vorgelebt.

Hat er eine universelle menschliche Sehnsucht angesprochen?

Witulski: Ja, das hat er. Er hat eine Lebensphilosophie gelebt, die unabhängig macht von all dem, was den Menschen sonst beherrschen mag.



Was ist gesichert über das Leben von Jesus?

Witulski: Nicht viel. Die entscheidenden Quellen sind die Evangelien im Neuen Testament. Aber die sind keine historischen Werke, sie sind geschrieben worden, um Jesus als Messias zu verkünden, sie machen - im guten Sinne - Propaganda für ihn. Was klar ist: Er hat gelebt, er wurde gekreuzigt. Gesichert ist nach meiner Auffassung auch, dass er als Prophet aufgetreten ist. Und zwar als einer, der nicht gesagt hat: Leute, ihr müsst an mich glauben; sondern: Ihr müsst an Gott glauben. Er war eine prophetische Figur.

Gibt es keine Schriftstücke aus der Zeit Jesus über ihn? Eine Chronik, einen Brief vielleicht?

Witulski: Wir haben an Quellen annähernd nichts. Josephus schreibt über die Kreuzung Jakobus?, dabei wird erwähnt, dass er der Bruder dessen ist, der als Christus verehrt wird. Das war?s auch schon.

Die Evangelien sind nach Jesus entstanden. Taugen sie nicht als historische Dokumente?

Witulski: Nur bedingt. Die Evangelisten Markus, Lukas, Johannes und Matthäus wollten ja keine objektive historische Abhandlung schreiben. Sie haben das Material in ihr jeweiliges theologisches Korsett gepackt, um, wie gesagt, Jesus als Messias zu verkünden.

Wie muss man sich Jesus? Leben vorstellen?

Witulski: Er hat Geschwister gehabt. Sein Vater war Josef, ein Zimmermann. Jesus wird wohl auch eine Zimmermannslehre gemacht haben.

In was für einer Gesellschaft hat er gelebt?

Witulski: Das Bildungsniveau war damals in Palästina nicht so schlecht, weil das Judentum immer schon viel mit Schrift gearbeitet hat. Aber es gab eine sehr undurchlässige Klassenstruktur. Da das Land von den Römern besetzt war, gab es Unmut. Die Erwartung war, dass es Gott doch wohl nicht zulassen könne, dass das Land des auserwählten Volkes besetzt werde von Heiden. So wurde denjenigen begierig zugehört, die sagten, das Reich Gottes werde kommen.

Das hat Jesus getan. Wie wurde er zum Religionsstifter?

Witulski: Der historische Jesus ist ein paar Jahre durch Palästina gezogen, hat das Reich Gottes verkündet und die Menschen aufgefordert, ihm zu folgen. Er war sozusagen ein normaler Prophet, wie es damals einige gab. Doch dann starb er am Kreuz. Meine These ist, dass er nicht damit gerechnet hat, so früh zu sterben, vor der Ankunft des Reich Gottes. Er hatte zunächst wenige Anhänger. Zum Religionsstifter ist er erst durch Paulus geworden. Der hat aus ihm eine Heilsgestalt gemacht.

Wie?

Witulski: Vor Paulus hieß es: Glaubt wie Jesus; Paulus änderte das in: Glaubt an ihn. Er hat aus Jesus den Christus gemacht. Paulus hat verkündet, Kreuzestod und Auferstehung seien entscheidende Heilsereignisse gewesen. Damit würden die Menschen aus der Macht der Sünde befreit. So wurde Jesus zum Heiland, zum Messias und Retter.

Ist damit die Erzählung von der unbefleckten Geburt verknüpft?

Witulski: Als die ersten Christen so weit waren, dass sie Tod und Auferstehung als Heilsereignisse akzeptiert hatten, haben sie gesagt, dann muss auch die Geburt Jesu bedeutsam gewesen sein. So entstand nachträglich die Jungfrauengeburt. Zum Sohn Gottes wurde er erst im Zuge der theologischen Interpretation von Tod und Auferstehung, weil Jesus dem Christenverfolger Saulus bei Damaskus am Himmel erschienen ist, der dadurch zu Paulus wurde. Nach antikem Verständnis bedeutet das, dass er auferstanden sein muss.

Alles beginnt mit dieser Vision?

Witulski: Ja. Erst dadurch wird aus dem Prophet ein Messias. Paulus ist der eigentliche Begründer des Christentums. Dabei hat ihn das historische Leben von Jesus kaum interessiert. In seinen sieben erhaltenen Briefen werden Worte des historischen Jesus nur zweimal oder dreimal erwähnt.

Er hat ihn auch nie kennengelernt, oder?

Witulski: So ist es. Paulus ist 60 bis 65 nach Christus gestorben, gewirkt hat er zwischen den Jahren 45 und 60.

Was hat Jesus gemacht zwischen seiner Kindheit und frühen Jugend und dem Erscheinen als Prophet? Darüber gibt es keine Geschichten.

Witulski: Ich schätze, er hat schlicht und einfach als Zimmermann gearbeitet. Wie sein Vater. Dann muss er durch irgendein Ereignis die Empfindung gehabt haben, dass Reich Gottes zu verkünden und die Menschen dazu aufzurufen, auch umzukehren.

Könnte es sein, dass Jesus nach Indien gereist ist? Dort gibt es solche Berichte.

Witulski: Das weiß ich nicht und würde es auch nicht annehmen. Ich denke, er ist als normales Kind in Palästina geboren und hat dort normal wie alle anderen gelebt. Wir wissen nur, dass er im Alter von 28 oder 29 Jahren begonnen hat, öffentlich aufzutreten.

Was schreiben die Evangelisten dazu?

Witulski: Im Markus-Evangelium - es ist das älteste - wird Jesus' Berufungserlebnis als Ereignis bei der Taufe durch Johannes dem Täufer beschrieben. Jesus soll eine Stimme vom Himmel gehört haben, dass er nun der Sohn Gottes sei. In den anderen drei Evangelien wird er hingegen schon als Sohn Gottes geboren oder ist Sohn Gottes bereits vor aller Schöpfung und Geschichte.

Manche sagen, es gebe weitere Evangelien, die aus dem Neuen Testament gestrichen worden seien, weil sie der Amtskirche nicht gepasst hätten.

Witulski: Das sehe ich nicht und kann es auch nicht nachvollziehen. Es gibt schon bestimmte Interpretationen, aber der Kanon des Neuen Testaments lag in etwa um das Jahr 200 fest. Ab da war klar, was dazu gehörte und was nicht. Kein Konzil hat daran etwas verändert. Selbst Luther, der den Jakobusbrief am liebsten aus dem Neuen Testament entfernen wollte, weil dessen Inhalt ihm nicht passte, hat es doch nicht getan. Er hat den Brief nur an das Ende gesetzt.

Die Evangelien berichten von vielen Wundern Jesu. Wie bewerten Sie diese Geschichten?

Witulski: Auch das gehörte zur Intention, Jesus als Retter der Menschheit zu beschreiben. Wobei die Evangelisten sicher daran glaubten, dass diese Geschehnisse tatsächlich so passiert sind. Wir wissen nicht, ob die Wunder so geschehen sind oder nicht. Und es lässt sich auch nie herausfinden. Im Zuge der Aufklärung hat man etwa versucht, die Dinge mit Vernunft zu erklären. Da wurde von einer Luftspiegelung gesprochen, um zu erklären, warum Jesus über Wasser laufen konnte. Die Frage ist aber, ob das wirklich wichtig ist zu wissen.

Könnten die Wundergeschichten eine metaphorische oder mystische Bedeutung haben?

Witulski: Wir können sie als Geschichten gegen Hoffnungslosigkeit verstehen. Geschichten, die uns Mut machen können, selber das Größtmögliche dafür zu tun, die Dinge besser zu machen im Leben. So würde ich das jedenfalls interpretieren, unabhängig davon, ob sie so passiert sind oder nicht.

Jesus war zwei oder drei Jahre als Gottesverkünder unterwegs. Erstaunlich, was daraus geworden ist, oder?

Witulski: Ja. Dafür habe ich keine wirkliche Erklärung.

Ist es ein Wunder?

Witulski: Im gewissen Sinne ja. Die Verbreitung des Christentums lässt sich aus seinen Ursprüngen heraus jedenfalls nicht erklären.


© 2017 Neue Westfälische
03 - Bielefeld Süd, Dienstag 11. April 2017


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nüchtern und klar formuliert prof. witulski die geschehnisse um jesus - und in fast allem muss ich ihm - aus dem kopf und dem bauch heraus - recht geben.

nur bei einer passage meckere ich mal: ich glaube schon, dass im laufe der ersten 300 - 400 jahre des "christentums" schriften revidiert und aus dem kanon gestrichen wurden: "die guten ins töpfchen - die schlechten ins kröpfchen" ... - z.b. das "thomas-evangelium" ist sicherlich solch eine "verschmähte" schrift ...

wenn witulski die etwas "windigen" interpretationen und hochstilisierungen des paulus von tarsus des jesus vom "einfachen""reich-gottes"-propheten zum allmächtigen "messias" und "christus" nachvollzieht, muss man eben auch sehen, dass alles, was dieser nachträglichen interpretation widersprach auch aus den schriften getilgt wurde - und vornehmlich nur paulus-genehme apostel die schriften damals redaktionell bearbeiteten und niederschrieben und redigierten ...

nach dem gewaltsamen kreuzestod jesu regierte rasch nur noch die "theologie"-verbrämung von leuten, die sich selbst damit einen unsterblichen ruf schaffen wollten - und die von den tantiemen ihrer gläubigen ("ihrer gläubiger") leben wollten ...

mit dem eigentlichen jesus und seiner gewaltfreien botschaft und seiner jüdischen glaubensrevolution - indem er seinen "abba" ("papa") aus den himmeln in die herzen der menschen einpflanzen wollte - hatte das nicht mehr viel zu tun - und es rumorte ja auch entsprechend in den fraktionen der juden-christlichen ur-gemeinden in jerusalem unter petrus und dann unter dem "herrenbruder" jakobus, die sich nachträglich bildeten: nämlich die "paulaner" gegenüber den "jüdischeren" jesu-nachfolgern... - was bei einer kritischen schriftanalyse durchaus verfolgt werden kann ...

fest steht: die "christlichen" kirchen sind eindeutig "paulinisch geprägte" kirchen - 

... und wo jesus drauf steht - ist nur noch ganz wenig jesus drin ...

Timothy P. Schmalz, Homeless Jesus, 2012. Bronze, 36″h x 84″w x 24″d. - in dieser skulptur ist wesentlich mehr vom echten jesus erhalten als in jedem prunkkreuz ...


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Ja, natürlich, der Spielplan ist eng, die Termine sind knapp, Ausweichmöglichkeiten erfordern viel Kreativität und eine Abkehr vom Protokoll.Wenn aber selbst ein Attentat auf die Spieler nicht mehr ausreicht, um dem traumatisierten Menschen Zeit zum Luftholen zu geben oder zumindest Bedenkzeit einzuräumen, zu entscheiden, ob er sich imstande fühlt, das Trauma mit einem schnellen Wiederauflaufen auf den Platz zu bekämpfen, dann können sich die Uefa, die FIFA, der DFB und all die anderen Verbände ihre verlogenen "Respect"-Kampagnen sparen.
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