Papst Franziskus definiert sein Amt neu
Leerer Stuhl voller Symbolik
von Andrea Dernbach | www.tagesspiegel.de
Die Politik des leeren Stuhls war schon, als sie in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts erfunden wurde, mehr als Bildproduktion. Papst Franziskus hat es geschafft, mit starken Gesten das Amt neu zu definieren.
Eine große Halle, Dutzende Prälaten, die katholische Creme der italienischen Politik. Und mittendrin: ein leerer Stuhl. Nicht irgendeiner, es ist der Stuhl des Ranghöchsten. Der Papst kommt nicht. Er hat, lässt er mit etwas höflicheren Worten ausrichten, Besseres zu tun, als eine Gala in der Audienzhalle des Vatikans zu garnieren.
Es gibt Bilder, die sind ein ganzes politisches Programm, und sie prägen sich besser ein als Worte. Vermutlich sogar besser als die seiner ersten Enzyklika, die er an diesem Freitag veröffentlichen will. Papst Franziskus hat es in wenigen Monaten geschafft, über starke Bilder und Gesten seine Rolle förmlich auf den Kopf zu stellen.
Er hat nicht die Prachtfluchten des vatikanischen Palasts bezogen, sondern ein Zimmer im Gästehaus nebenan, er lässt sich nicht von einer Küchenbrigade von Nonnen bekochen, sondern setzt sich quasi in die Kantine, ein Gast wie alle anderen. Er sagt Feste und Events ab und wird stattdessen am Montag nach Lampedusa reisen, die Insel zwischen Italien und Nordafrika, die zum Symbol für das Massensterben von Flüchtlingen im Mittelmeer geworden ist. Er wolle „die Toten beweinen“ und auf die Kluft zwischen Nord und Süd, Reichen und Armen hinweisen, die die Welt teilt. Es ist Franziskus’ erste Reise seit seiner Wahl zum Papst.
Natürlich lassen sich aus solchen Bildern Rührstücke machen, man kann sie zu Heiligenbildchen schrumpfen, die in den Devotionalienläden vor dem Petersplatz dankbare Abnehmer finden. „Der Papst der Armen“ würde auch als reine Imagewerbung funktionieren, sie hätte Kultpotenzial. Es scheint aber, als stecke mehr dahinter, als sei da ein begabter Politiker am Werk. Die Politik des leeren Stuhls war schon, als sie in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts erfunden wurde, mehr als Bildproduktion. Frankreichs General de Gaulle, der EWG-Europa ein halbes Jahr lang durch Abwesenheit lahmlegte, machte Politik.
Für den Vatikan ist wichtig, festzuhalten, dass dort überhaupt wieder Politik gemacht wird. Ratzinger konnte und wollte das nicht – und zeigte mit seinem Rücktritt Einsicht in die eigene Begrenztheit. Sein Nachfolger hat die Lektion gelernt. Und wählt, so scheint es von außen, die einzige Möglichkeit des Außenseiters. Der Papst „vom Ende der Welt“, als der er sich selbstironisch definierte, spielt über Bande, macht Antipolitik: Er versucht gar nicht erst, das vatikanische Establishment zu überklüngeln. Er ignoriert es mal, mal entwaffnet er es durch Offenheit – so durch die nie dementierte offene Rede von den Seilschaften im Vatikan. Dekonspiration ist noch immer das schärfste Schwert derer, die sich nicht erpressen lassen wollen. Was urbi gilt, in Rom, könnte Franziskus auch orbi schaffen, in der katholischen Weltkirche: ein Zeichen an die senden, die sich von einer Kirche der Pracht und Macht in Basisgemeinden zurückgezogen haben. Und deren Auszug zumindest verlangsamen.
Das Unkonventionelle des Papstes, wie authentisch auch immer, ist vor allem Politik. Er wird eine ungerechte Welt nicht ändern, aber aus der Arbeit am Markenkern der Kirche könnte richtig gute Innenpolitik werden. Wie schon Roms neuer Bürgermeister Ignazio Marino sagte, der seinen Dezernenten diese Woche die Dienstwagen strich, die heiß geliebten „auto blu“: „Und das ist erst der Anfang.“
Leerer Stuhl voller Symbolik
von Andrea Dernbach | www.tagesspiegel.de
Der wichtigste Stuhl (Bildmitte) blieb unbesetzt beim Festkonzert in der vatikanischen Audienzhalle vor zehn Tagen. - nach einem FOTO von: GIAMPIERO SPOSITO/REUTERS |
Die Politik des leeren Stuhls war schon, als sie in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts erfunden wurde, mehr als Bildproduktion. Papst Franziskus hat es geschafft, mit starken Gesten das Amt neu zu definieren.
Eine große Halle, Dutzende Prälaten, die katholische Creme der italienischen Politik. Und mittendrin: ein leerer Stuhl. Nicht irgendeiner, es ist der Stuhl des Ranghöchsten. Der Papst kommt nicht. Er hat, lässt er mit etwas höflicheren Worten ausrichten, Besseres zu tun, als eine Gala in der Audienzhalle des Vatikans zu garnieren.
Es gibt Bilder, die sind ein ganzes politisches Programm, und sie prägen sich besser ein als Worte. Vermutlich sogar besser als die seiner ersten Enzyklika, die er an diesem Freitag veröffentlichen will. Papst Franziskus hat es in wenigen Monaten geschafft, über starke Bilder und Gesten seine Rolle förmlich auf den Kopf zu stellen.
Er hat nicht die Prachtfluchten des vatikanischen Palasts bezogen, sondern ein Zimmer im Gästehaus nebenan, er lässt sich nicht von einer Küchenbrigade von Nonnen bekochen, sondern setzt sich quasi in die Kantine, ein Gast wie alle anderen. Er sagt Feste und Events ab und wird stattdessen am Montag nach Lampedusa reisen, die Insel zwischen Italien und Nordafrika, die zum Symbol für das Massensterben von Flüchtlingen im Mittelmeer geworden ist. Er wolle „die Toten beweinen“ und auf die Kluft zwischen Nord und Süd, Reichen und Armen hinweisen, die die Welt teilt. Es ist Franziskus’ erste Reise seit seiner Wahl zum Papst.
Natürlich lassen sich aus solchen Bildern Rührstücke machen, man kann sie zu Heiligenbildchen schrumpfen, die in den Devotionalienläden vor dem Petersplatz dankbare Abnehmer finden. „Der Papst der Armen“ würde auch als reine Imagewerbung funktionieren, sie hätte Kultpotenzial. Es scheint aber, als stecke mehr dahinter, als sei da ein begabter Politiker am Werk. Die Politik des leeren Stuhls war schon, als sie in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts erfunden wurde, mehr als Bildproduktion. Frankreichs General de Gaulle, der EWG-Europa ein halbes Jahr lang durch Abwesenheit lahmlegte, machte Politik.
Für den Vatikan ist wichtig, festzuhalten, dass dort überhaupt wieder Politik gemacht wird. Ratzinger konnte und wollte das nicht – und zeigte mit seinem Rücktritt Einsicht in die eigene Begrenztheit. Sein Nachfolger hat die Lektion gelernt. Und wählt, so scheint es von außen, die einzige Möglichkeit des Außenseiters. Der Papst „vom Ende der Welt“, als der er sich selbstironisch definierte, spielt über Bande, macht Antipolitik: Er versucht gar nicht erst, das vatikanische Establishment zu überklüngeln. Er ignoriert es mal, mal entwaffnet er es durch Offenheit – so durch die nie dementierte offene Rede von den Seilschaften im Vatikan. Dekonspiration ist noch immer das schärfste Schwert derer, die sich nicht erpressen lassen wollen. Was urbi gilt, in Rom, könnte Franziskus auch orbi schaffen, in der katholischen Weltkirche: ein Zeichen an die senden, die sich von einer Kirche der Pracht und Macht in Basisgemeinden zurückgezogen haben. Und deren Auszug zumindest verlangsamen.
Das Unkonventionelle des Papstes, wie authentisch auch immer, ist vor allem Politik. Er wird eine ungerechte Welt nicht ändern, aber aus der Arbeit am Markenkern der Kirche könnte richtig gute Innenpolitik werden. Wie schon Roms neuer Bürgermeister Ignazio Marino sagte, der seinen Dezernenten diese Woche die Dienstwagen strich, die heiß geliebten „auto blu“: „Und das ist erst der Anfang.“