Den Whistleblower Snowden schützen – die deutsche Regierung könnte, wenn sie wollte. Das ist den Bürgern in Deutschland klar. Und es macht sie wütend. Gestern erst haben wir die Unterschriften-Kampagne gestartet. Heute haben bereits über 100.000 Menschen unterschrieben. Gestern am späten Nachmittag schickten wir die Einladung zur heutigen Protest-Aktion vor dem Kanzleramt raus. Heute forderten dort um 10:45 Uhr über 150 Demonstranten stellvertretend für die Unterzeichner vehement Zuflucht für Snowden in Deutschland – und den Schutz von Whistleblowern per Gesetz. Mit Schildern, die in Anlehnung an das legendäre Obama-Wahlkampfplakat von 2008 gestaltet waren, richteten sie ihre Botschaft an Kanzlerin Merkel persönlich. Die Entschlossenheit der Aktiven, sich mit ganzer Kraft für Edward Snowden einzusetzen, hat mich zutiefst beeindruckt.
Die Proteste haben gerade erst begonnen
Diese Entschlossenheit kommt nicht von ungefähr: Die Menschen sind entsetzt über die Heuchelei der Kanzlerin. Und sie kommen wieder – mit Freunden und Bekannten. Während ich das hier schreibe, versammeln sich gerade am Brandenburger Tor vor der amerikanischen Botschaft wieder Demonstranten und zeigen sich solidarisch mit Snowden. Der Marsch beginnt um 17:30 Uhr und führt von der amerikanischen Botschaft bis zum Kanzleramt. Er wird von unserem Kooperationspartner, dem Whistleblower Netzwerk e.V., unterstützt. Botschaft von Snowden an seine Unterstützer
„Letztendlich hat die Obama-Regierung keine Angst vor Whistleblowern wie mir, Bradley Manning oder Thomas Drake. Wir sind staatenlos, eingesperrt oder machtlos. Nein, die Obama-Regierung hat Angst vor euch. Sie hat Angst vor einer informierten, wütenden Öffentlichkeit, die die verfassungsmäßige Regierung fordert, die ihr versprochen worden war – und das sollte sie auch. Ich bin ungebeugt in meinen Überzeugungen und beeindruckt von den Bemühungen so Vieler.“
Snowden könnte nach § 22 des Aufenthaltsgesetzes Zuflucht gewährt werdenEdward Snowdens Worte bewegten die Teilnehmer/innen der Aktion vor dem Kanzleramt. Sie sind Teil einer Öffentlichkeit, deren berechtigte Wut dank der schrittweisen Offenlegung des bis dato wohl größten Datenklau-Skandals derzeit täglich neue Nahrung bekommt. Nachdem Innenminister Friedrich und Außenminister Westerwelle Dienstag Abend kaltschnäuzig hatten verlauten lassen, „die Voraussetzungen für eine Aufnahme“ seien nicht gegeben, muss jetzt die Kanzlerin persönlich Verantwortung übernehmen. Die rechtlichen Voraussetzungen, Snowden Zuflucht zu gewähren, sind mit § 22 Aufenthaltsgesetz durchaus vorhanden. Es kommt allein auf Merkels politischen Willen an, ihre Richtlinienkompetenz wahrzunehmen. Merkels Empörung reine Heuchelei
Durch Edward Snowden haben wir erfahren, in welchem Ausmaß wir Bürger von Geheimdiensten ausspioniert werden. Mit seinem mutigen Gang an die Öffentlichkeit hat er der Freiheit von uns allen einen großen Dienst erwiesen. Dass die Bundesregierung bis jetzt nicht den Mumm hat, Snowdon Zuflucht zu gefähren, ist eine Schande – und lässt auch Merkels Empörung über die Schnüffelprogramme als pure Heuchelei erscheinen.
Bespitzelung im ganzen Land – unsere Antwort: Widerstand!
„Tempora und Prism – finden wir beschissen!“ riefen die Demonstrant/innen im Sprechchor, und: „Bespitzelung im ganzen Land – unsere Antwort: Widerstand!“ Bei den Obamas Wahlkampfmotto aufgreifenden Zeilen „Protect this man – yes, you can!“ wurde alles aus Stimmbändern und Lungen rausgeholt – möglichst noch in der US-Botschaft am Pariser Platz, wo man heute den Nationalfeiertag begeht, sollte man es hören. Und sich beschämt fühlen, in Gedanken an den ersten Zusatzartikel zur amerikanischen Verfassung, der die Rede- und Meinungsfreiheit (freedom of speech) garantiert.
Bespitzelung in Deutschland
Doch es geht nicht nur um die NAS und auch nicht allein um Edward Snowden. Immer schrankenloser bespitzelt wird auch in Deutschland. Seit Anfang der Woche ist etwa das Gesetz zur Bestandsdatenauskunft in Kraft, das mit den Stimmen von CDU, FDP und SPD verabschiedet wurde. Polizei und Geheimdienste dürfen jetzt Handynutzer ausforschen, ohne dass gegen diese ein konkreter Straftatverdacht vorliegen muss – Daten angefangen vom Namen über Adresse, Kontodaten und PIN-Nummern bis hin zu Passwörtern für diverse Online-Dienste sind in Deutschland de facto keine Privatsache mehr.
Wir brauchen Menschen, wie Edward Snowden
Wer wird unter diesen Umständen in Zukunft das Risiko eingehen und die Öffentlichkeit darüber informieren, wenn der Staat, Konzerne oder Geheimdienste unsere Grundrechte missachten? Ob Pflegemissstand oder Lebensmittelskandal, Korruption oder illegaler Waffenexport: Wir wüssten so gut wie nichts davon, gäbe es nicht immer wieder integre und unglaublich mutige Menschen, die Rechtsverletzungen publik machen und dabei alles riskieren.