S!: Wehret den Anfängen ... |
... so im Zug, im IC-Eisenbahnabteil, da kommt es bei 3 Stunden Fahrt schon mal zum Kopfkino-Anfall, zumal wenn der Anschlag in Paris erst drei Tage her ist - und die Polizei gerade den Stadtteil St. Denise durchkämmt ...
Da sitzen nämlich zwei junge Männer sich gegenüber am Fensterplatz mit Tisch neben uns - im IC von Amsterdam Centraal nach Berlin Südkreuz. Der eine - mir eher im Blickfokus: hager, fast magersüchtig, mit sehnig durchtrainiertem Nacken und mit kurzen Haaren - ihm gegenüber ein etwas jüngerer Mann, mit Bart, ausgerechnet kein südländischer Typ, er sieht eher aus wie ein Ministrant, ein Klosternovize - so als Typ könnte der auch in Tel Aviv wohnen und Korkenzieher-Haare über beide Ohren tragen ... Beide haben dreckige Schuhe an, notdürftig für die Zugfahrt gereinigt, lehmig verschmiert, die auch Lehmspuren an den grün-khaki-farbenen Outdoor-Hosen, die beide tragen, hinterlassen haben (die Farbe der Hose heißt neuerdings - glaube ich - "Schlamm"...)...
Weshalb haben junge Männer, die aus Amsterdam nach Berlin oder vielleicht ja nur bis Hannover unterwegs sind, solche Hosen an... solche lehmig verschmierten Schuhe ???
Beide sprechen kaum miteinander, meistens scheinen sie zu schlafen, oder sie werfen sich zwischendurch mal kurze Sprachfetzen zu ...
Aber dann holen beide ihre Handys hervor - und der eine, der Hagere, dazu noch ein klappriges aber robustes Laptop. Es wirkt so, als spielen sie eins dieser Online-Spiele weiter, die irgendwie wie früher in real live wie eine Schnitzeljagd funktionieren ... - so stelle ich mir das wenigstens vor. Dauernd werden Koordinaten im Handy mit den Ergebnissen auf dem Laptop abgeglichen... - und dann greift der Hagere aktiv ein und hackt in die Laptop-Tasten, was das Zeug hält ... Zwischendurch nimmt er öftermal, wie zur Bestätigung, Blickkontakt mit seinem bärtigen Gegenüber auf, der dann anerkennend oder bestätigend mit seinem Handy-Ergebnis vergleichend nickt.
Plötzlich entfährt dem Hageren: "Was soll das denn jetzt, er sagt, er wäre 'Feund Lindo' - und dann so etwas - ich soll ihn wohl in Ruhe lassen" ... - und bei diesen Worten entdecke ich am Handgelenk beider Typen ein fleischfarbenes Einlassarmband oder wie man das heutzutage nennt: Die Hauptaufschrift endet mit "...ville" - vielleicht eine Disko - und ich meine so eine kleine weitere Aufschriftzeile noch mit "Peter Duck" oder so ähnlich zu entziffern ...
Ich empfinde das als alles längst als äußerst mysteriös, und gebe meiner Reisepartnerin per Blick- und Kopfzeichen wichtigtuend zu verstehen, sie solle auch versuchen, Details zu erhaschen, die dann ja vielleicht irgendein Ganzes ergeben - aber sie spielt partout nicht mit ... - sie ist eine Spielverderberin - oder aber sie hat ganz unbedarft den Ernst der Stunde noch gar nicht erfasst, dass man nämlich "aufmerksam" sein soll und "Obacht" geben soll wie Herr Minister de Maizière empfiehlt, denn "nähere Details würden die Bevölkerung nur verunsichern" - gerade also wohl dann doch in IC-Zügen von Amsterdam Centraal nach Berlin Südkreuz - in diesen unseren Zeiten ...
oder so ähnlich ... |
Ach ja - fast hätte ich es vergessen: Wenn die lehmverschmierte Outdoor-Hose hochrutscht, sehe ich am Unterschenkel des Hageren den Rand eines bunten und reich detaillierten Tattoos: ich konnte darauf eine Hand mit einem spitzen Schreib- oder Zeichengriffel oder dem Rest eines Federkiels ausmachen - wenigstens wirkte das so auf mich ... S!
Schnitt: ***************************************************
... und dazu nun ein Auszug aus der Tageszeitung von heute:
Wenn man überall Terroristen sieht: Tipps gegen das Kopfkino
Psychologie: Nach den Attentaten von Paris ertappen sich viele Menschen dabei, bestimmten Personen misstrauischer zu begegnen. Doch gegen den Generalverdacht kann man was tun. Wie man hässlichen Gedanken vorbeugt, erklärt der Marburger Sozialpsychologe Ulrich Wagner im Gespräch mit Valentin Frimmer
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Was kann ich denn konkret tun, wenn ich mich selbst in der U-Bahn bei misstrauischen Blicken erwische?
WAGNER: Wagen Sie den Schritt nach vorne. Nehmen Sie neben dem Menschen Platz, den Sie - ohne es zu wollen - des Terrors verdächtigen. Wenn Sie es einige Zeit durchhalten, sich in diese Situationen zu begeben, geht die Angst von selbst zurück.
Kann ich mir mein Misstrauen denn auch vorbeugend abtrainieren?
WAGNER: Ja. Sie können versuchen, sich in einer ruhigen Minute solche Kontaktsituationen aktiv vorzustellen. Stellen sie sich eine positive Begegnung mit einer Person vor, die dem Stereotyp eines islamistischen Attentäters entspricht. Auch damit kann man solche ungewollten Lernprozesse wieder abbauen. -
© 2015 Neue Westfälische, Samstag 21. November 2015
Nur gut - dass wir heutzutage für alles ein Gegenmittel haben ...