Künstler sammelt überflüssige Worte
Buchmesse: Die einen geben Konferenz-Blabla ab, andere unnütze Füllwörter oder ungeliebte Spitznamen. Dafür bekommen sie Brief und Siegel - und ein unverbrauchtes Wort aus einer Fantasiesprache
Von Sandra Trauner | NW|dpa
"Eigentlich" ist das verhassteste Wort der deutschen Sprache. In Dirk Hülstrunks "Büro für überflüssige Worte" wird kein Begriff so häufig symbolisch abgegeben wie dieses. Noch bis zum Wochenende sammelt der Frankfurter Performancekünstler im Begleitprogramm der Buchmesse Worte ein, die Besucher am liebsten aus der deutschen Sprache verbannt sehen würden.
Ein Künstler aus dem ehemals günstigen, jetzt hippen Frankfurter Stadtteil Gallus gibt "Gentrifizierung" ab. "Ich kann?s nicht mehr hören", sagt Michael Blöck und stempelt energisch in Neon-Pink das Wort "überflüssig" quer über sein persönliches Unwort. Karin Künstner, die Deutsch für Ausländer unterrichtet, schreibt "völkisch" auf ihre Karte - "weil ich das furchtbar finde, dass so Nazisprache wieder verwendet wird". Eine passionierte Feuilleton-Leserin stört sich an "konnotiert" - "weil es jeder ständig benutzt, sobald es ein bisschen intellektueller sein soll", sagt Irene Kessler-Stenger.
Schüler bringen Schimpfwörter oder verhasste Spitznamen
"Sie müssen unterschreiben", erklärt Hülstrunk seinen Kunden und heftet dann die Karte an die Pinnwand hinter seinem Schreibtisch. "Sale" hängt schon dort, "gefühlig", "Konsolidierungsbeitrag" und natürlich "eigentlich". Dann greift er in seinen Karteikasten und gibt den Kunden ein neues Wort für das abgegebene alte. "Flitapof" für Gentrifizierung, "Jizötisumidan" für völkisch und "foginänik" für konnotiert. "Und was bedeutet das?", fragt Karin Künstner verwirrt. "Nichts", sagt Hülstrunk, es sei ein Wort aus einer Fantasiesprache. "Sie können es mit einer neuen Bedeutung aufladen."
Ein Schreibtisch und eine Topfpflanze, Stempel und Stempelkissen, eine Pinnwand, ein Karteikasten, fertig ist das mobile "Büro für überflüssige Worte". Zum ersten Mal hat Hülstrunk es im vergangenen Jahr auf einem Straßenkunst-Festival in Finnland aufgebaut. In Deutschland war er schon in einer Stadtbibliothek und bei der Industrie- und Handelskammer zu Gast. Nun ist seine sprachkritische Aktion Teil des Buchmessen-Begleitprogramms "Open Books".
Als "Anlass, über Sprache ins Gespräch zu kommen" sieht der Songpoet, Autor, Schreibwerkstatt-Leiter und Poetry-Slam-Veranstalter seine Aktion. Er hofft, dass sein Büro auch "eine kleine sprachtherapeutische Wirkung" hat. Welche Worte abgegeben werden, hängt vor allem vom Ort ab, wo das Büro sich gerade befindet, und dem Personenkreis, der dort verkehrt. Teilnehmer von Kongressen gaben häufig Worthülsen wie "durchaus" ab. Senioren störten sich an dem flapsigen "Hallo". Sprachschüler hatten Probleme mit vielen Umlauten wie in "Frühstück". Schüler bringen Schimpfwörter oder verhasste Spitznamen wie "Schätzchen". Auch Bürokratiemonster wie zum Beispiel "Bundesdurchschnittskostensatz" werden gern abgegeben. "Überraschend" findet Hülstrunk, dass - anders als er es erwartete - kaum Anglizismen abgegeben werden.
Häufig gehe es um persönliche Befindlichkeiten, sagt Hülstrunk - manchmal habe das Abgeben ungeliebter Worte aber auch einen "sprachmagischen Aspekt: Die Leute denken, wenn das Wort weg ist, ist auch die Sache aus der Welt." Sie geben dann "Krieg" ab oder ihren "Schnupfen".
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© 2016 Neue Westfälische, Freitag 21. Oktober 2016
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manchmal frage ich mich, ob nicht auch dieses blog überflüssig ist - und reiner selbstzweck, um mich ausreichend zu beschäftigen in meinem beruflichen ruhestand - wenigstens wenn ich an manchen tagen die "klicks" zähle, die manch ein post erzielt, den ich voller erwartungen eingestellt habe - und den ich viel zu oft mit aufwendiger photo|graphic aufpeppe - bzw. glaube, ihn optisch aufgepeppt zu haben - denn ein bild sagt ja immer mehr als 1000 worte - und bei einem gestalteten bild sind deshalb oft genug alle worte überflüssig ...
aber ich tröste mich damit, was alles an überflüssigem auf den markt an waren geschleudert wird, um den turbokapitalismus am laufen zu halten - und was dann bald schon wieder aus diesem markt ruckzuck verschwunden ist ... und zu besichtigen ist bei den zweit- und drittverwertern oder auf den flohmärkten der welt - ehe es dann den weg in die müllverbrennungsanlage nimmt ...
mein überflüssiges wort wäre übrigens "grenze", weil grenzen im wahrsten sinne des wortes nur eingrenzen - und unrecht und kriege heraufbeschwören, und für "blut & boden" stehen und abschotten - und wir deutschen können ja davon ein lied singen - und haben erlebt, wie überflüssig eine "grenze" sein kann ... oder wie willkürlich grenzen gezogen werden oder wieder fallen ... (oder-neiße) - und sie ist überall auf der welt überflüssig und ein hirngespinst... - manche denken es wären natürliche gewachsene phänomene - aber es waren immer nur fürze im kopf ... im nahen osten sehen wir oft schnurgerade grenzen, die von britischen vermessern seinerzeit je nach bodenschätze gezogen wurden und eingezeichnet - und dann ist es eben pech, wenn die grenzlinie mitten durch kurdistan verläuft oder eben nicht zwischen sunniten und schiiten oder in nordirland nicht zwischen katholischen und protestantischen volksgruppen oder zwischen wallonen und flamen in belgien - alles völlig überflüssig - ich weiß, herr orbán sieht das an der ungarischen staatsgrenze ganz anders - und die verlief auch noch ganz anders, als seine vorfahren als wirtschaftsflüchtlinge ins pannonische becken einwanderten ... - ja wir sollten darauf achten, dass wir "geschichte" oder "vergangenheit" nicht mit auf den misthaufen der worte als "überflüssig" entsorgen ... S!