Rotzfrecher Satire-Import
Experiment: Der Terroranschlag auf Charlie Hebdo hat das Magazin zu einer internationalen Ikone gemacht. Ab heute erscheint die bissige Satire auch auf Deutsch
Von Sebastian Kunigkeit
Charlie Hebdo lässt seinen bissigen Humor auf Deutschland los. Das französische Satiremagazin bringt an diesem Donnerstag erstmals eine deutschsprachige Ausgabe in den Handel - ein Experiment. "Wir haben Deutschland gewählt, da wir bei Veranstaltungen hier so warm willkommen geheißen wurden", erklärte das Team.
Mit dem Terroranschlag vom 7. Januar 2015, bei dem Islamisten zwölf Menschen ermordeten, war das Magazin weltweit zu trauriger Berühmtheit gekommen. Auch in Deutschland machten viele Menschen sich den Solidaritäts-Slogan "Je suis Charlie" (Ich bin Charlie) zu eigen und entdeckten die provokante Satire des Blattes, das in Frankreich seit Jahrzehnten die Politik durch den Kakao zieht. Die "Nummer der Überlebenden" eine Woche nach dem Anschlag verkaufte sich in Deutschland 70.000 Mal. Sie erschien allerdings nur auf Französisch.
Nun soll die Sprachbarriere wegfallen: Die deutsche Ausgabe erscheint wöchentlich und hat 16 Seiten, wie die französische. Zunächst wird sie auch in weiten Teilen eine Übersetzung der Originalausgabe sein. Allerdings will die Pariser Redaktion auch exklusive Texte und Zeichnungen schaffen und damit allzu Frankreich-spezifische Themen ersetzen. Für später ist auch die Zusammenarbeit mit deutschen Satirikern gewünscht. Zum Start werden 200.000 Exemplare gedruckt.
Gesteuert wird das Ganze von einer deutschen Chefredakteurin, sie arbeitet aus Sicherheitsgründen unter Pseudonym und nennt sich Minka Schneider. Knapp zwei Jahre nach dem Anschlag entsteht Charlie weiterhin an einem geheimen Ort und unter strengem Polizeischutz.
Die große Frage ist jetzt: Kann der scharfe Ton des Blattes auch auf der anderen Seite des Rheins funktionieren? "Humor gibt es ja überall, selbst in Deutschland, da bin ich sicher", sagte der Zeichner und publizistische Leiter Riss dem ARD-"Europamagazin". "Das ist ein Experiment für uns, dass wir Charlie Hebdo in einer Fremdsprache herausgeben und versuchen, neue Liebhaber für die Zeitschrift zu finden, die sie dann verteidigen können."
Auf einem Werbeplakat zum Start der deutschen Ausgabe sitzt Kanzlerin Angela Merkel auf der Toilette und liest Charlie Hebdo. Darunter steht: "Wirkt befreiend."
Im Vergleich zu manch anderen Karikaturen ist das noch ziemlich harmlos: Der Humor von Charlie Hebdo ist nicht gerade feinfühlig, sondern stets rotzfrech und oft an der Grenze zur Beleidigung. Politische Korrektheit hat die Macher noch nie geschert - und damit ecken sie oft an.
Als Europa im vergangenen Jahr vom Foto des toten Flüchtlingsjungen Aylan am türkischen Strand aufgerüttelt wurde, zeichnete Charlie ein Fastfood-Werbeschild neben die Leiche des Kindes und versah die Szene mit dem Kommentar: "So nah am Ziel. . .". Nach den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht stellte die Redaktion die Frage: "Was wäre der kleine Aylan geworden, wenn er groß geworden wäre? Arsch-Grapscher in Köln." Empörte Stimmen warfen dem Blatt Rassismus vor, doch Verteidiger argumentierten, dass Charlie eben rassistische Haltungen karikiere. Manchmal geht es aber auch ganz humorfrei: Für die erste deutsche Ausgabe hat Riss eine vierseitige Reportage gezeichnet, die auch in der bereits am Mittwoch erschienenen französischen Version abgedruckt ist. Das Stück ist eine Art Bestandsaufnahme der sozialen und wirtschaftlichen Lage Deutschlands durch zahlreiche Interviews.
Die Redaktion von Charlie musste nach dem Terror nicht nur mit den psychologischen Folgen des Anschlags klarkommen. Die Zeitschrift habe es geschafft, ihren Geist zu bewahren, meint Riss heute. "Wären wir nicht in der Lage gewesen, das wiederzufinden, dann wären wir nicht in der Lage gewesen, Charlie weiterzumachen. Das war die Herausforderung, diesen Geist der Reflexion, des Witzes wiederzufinden, der Provokation."
Titel der deutschen Ausgabe |
Text: © 2016 Neue Westfälische, Donnerstag 01. Dezember 2016
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Das inzwischen makaber berühmte "CHARLIE HEBDO" im "Böhmermann-Land" - wenn das man gut geht ... - denn die französischen und spektakulären Zeichnungen schockieren - und sollen das auch ...: nach meiner bisherigen Interpretation muss man ein wenig "um die Ecke denken", um lachen zu müssen - sie sind also etwas hintergründig ...
Vordergründig steht wie gesagt der schreierische Schock, aber den muss man quasi durchdringen zu dem tieferen Sinn dahinter:
So auf einer der "typischen" CHARLIE-HEBDO-Karikaturen, die seinerzeit dem Bild des toten Aylan (†3) am Strand von Bodrum offensichtlich nachempfunden wurde... Auf dem Strand daneben steht ein Werbeschild, darauf ist ein einladendes Clownsgesicht zu sehen, das an die frühere Ronald-McDonald-Figur einer Fast-Food-Kette erinnert. Dort steht auf Französisch: "Angebot: Zwei Kindermenüs zum Preis von einem".Überschrieben ist die Karikatur mit dem Ausruf: "Willkommen, Flüchtlinge! SO NAH AM ZIEL ...":
Ja - es ist so -
Kinder werden von McDonalds und Konsorten zur Kindergeburtstags-Fete und mit "Sonder-Pooah-eeeeihhh-sind-die-Dick-manns" mit samt ihrem elterlichen Anhang natürlich gekonnt mit viel werbestrategischem Herzblut geködert - und in den Einkaufsmärkten verführt man sie mit Süßigkeiten im Kassenbereich und sorgt so für viele tränenreiche und unschöne Stresssituationen - aber die vielen Kinder, die unter dem Stacheldrahtverhau herkriechen müssen, die auf dem Arm des Vaters vor Erschöpfung eingeschlafen sind, die jetzt mit ihren Eltern an der Grenzmauer von Syrien in die Türkei gestoppt werden - nachdem sie dem Bombenhagel in Aleppo entkommen sind - sie sind die Marginalen, die Randerscheinungen, die nur am äußersten Rand der Iris ins Gewahrwerden rücken bei den Tagesnachrichten ...
Und Karikaturen, bei denen es einem zunächst einmal kalt den Buckel herunterläuft - aber gleichzeitig ein eigentlich ungebührliches Situationskichern hochkommt, wie bei den oft etwas schrägen Leuten, die bei ihnen nahegehenden Trauerfeiern - oftmals noch am offenen Grab selbst - mit einem Lachen und Kichern reagieren, und das dann schnell hinter dem tatsächlichen "Überwältigtsein" mit vorgehaltener Hand und Sonnenbrille zu verstecken suchen - um so vielleicht einen Aspekt der Intimsphäre zu schützen - und einfach im Augenblick nur im Paradox reagieren zu können... - ein Lachen, um nicht einfach loszuheulen ... - meiner Meinung nach als eine Form von weggedrückter nicht zugelassener Scham ...
Und ähnliche Beweggründe unterstelle ich auch mal ganz allgemein der Karikatur insgesamt - der guten Satire - dem tragischen Clown vielleicht - vielleicht auch der "Tragikomödie" als Kunstgattung überhaupt ...: alles, um Momente eines einfrierenden Lächelns zu erzeugen - bzw. um umgekehrt einen inneren eingefrorenen Ernst wieder aufzutauen ... - und das ist schon noch etwas anderes, als über eine anrührende Situation einfach oberflächlich hinwegzulachen - eine Sache mit ihrem Dafür und Wider mit all ihren Aspekten wird "auf den Punkt gebracht": Auch vielleicht im Sinne dieses lapidaren: "Das Leben geht weiter - kopfhoch ...- halt die Ohren steif ... - das wird schon wieder - du schaffst das schon" - was ja als First Aid neue Kräfte mobilisieren soll nach einem emotionalen inneren Bruch ...
Eine wirklich gute Karikatur, wirklich gute Straßenkunst - wirklich gute Graffitis - provozieren ja zunächst einmal ein Innehalten - eine dann folgende Konfrontation und eine "Auseinander-Setzung" mit der vorgefundenen Situation - das kommt dann oft wie "der Blitz aus heiterem Himmel" - und dann folgt folgerichtig der Donner, das Grollen - und manchmal der Groll: Das Wahrnehmen - das tatsächliche Gewahrwerden dessen, was uns diese Situation da tatsächlich zu sagen hat - was sie alles in uns anrührt... (interessant ist in diesem Zusammenhang die sprachliche Nähe von "Gewahr"-werden und "Gefahr"-erkennen...) - das alles kann man nicht in den Sozialen Netzwerken in Sekundenbruchteilen beim Surfen ableisten und mit einem abschließendem Urteil abhaken - Karikatur und Satire brauchen so lange Zeit wie zwischen Blitz und dem nachfolgenden Donner eines vielleicht etwas entfernteren Gewitters - und manchmal "fällt der Groschen ja nur Pfennigweise" ... - wie man früher sagte - bzw. das 10-Cent-Stück nur 1-Cent-weise ...
Und Karikatur und Satire halten wie der Till Eulenspiegel einem immer den Spiegel vor, in dem man sich gern als makellosen und pickelfreien und frisch aufgeputzten Narzissten betrachten möchte, aber oft ist es eben nur ein Zerrspiegel in dem man da blickt: Ein totes Kind lässt uns schlucken - die vielen tausend Wasserleichen verschmähen wir täglich, die Mittelmeer-Wasserleichen, für die einzig der damals neugewählte Papst Franziskus auf die Idee kam, sie vom Schiff aus vor Lampedusa zu ehren, indem er wenigstens einen Kranz ins Wasser ließ - und indem er betete ... S!