Trost der Nacht
Ankucken! Adam Elsheimers Meisterwerk »Flucht nach Ägypten« in München
von Benedikt Erenz
Nach München, eines einzigen Bildes wegen. Es muss sein. In der Alten Pinakothek hängt es, nicht groß. 31 mal 41 Zentimeter, im Jahre des Herrn 1609 mit Ölfarbe auf Kupfer gemalt. Der Künstler: Adam Elsheimer, geboren 1578 in Frankfurt am Main. Der Ort: Rom. Rom zur Zeit des Galileo Galilei. Das Motiv: die Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten, wie sie uns das Neue Testament erzählt.
Ein Nachtstück mit Mond. Elsheimer, so heißt es, und die Wissenschaftler prüften das genau, habe hier erstmals den Sternenhimmel astronomisch exakt gemalt, so wie ihn uns der Blick durchs Fernrohr offenbart. Das Fernrohr war damals ganz neu, gerade erst erfunden. Auch den Mond habe Elsheimer ganz realistisch getroffen, mit seiner Kraterlandschaft, seinem Schattenrelief.
Ein wahres, ein magisches Bild. Ganz still zieht es den Betrachter in seinen Bann, selbst die Farben flüstern. Seht es euch an! Seht selbst!
Eigentlich, das wird man gleich bemerken, sind es vier Bilder. Vier Bilder in einem, in einer vertraut erscheinenden Landschaft, vielleicht am Main irgendwo, unterhalb Frankfurts. Oder in Italien. Es ist gleich. Nur orientalisch wirkt sie nicht.
Das erste Bild im Bild zeigt den butterweißen Mond, der sich im stehenden Wasser spiegelt. Das zweite, im Vordergrund, die Heilige Familie: Maria auf dem Esel, das Kind im Arm, Joseph zur Seite, der mit einer Fackel den Pfad beleuchtet. Das dritte, im Hintergrund zur Linken, Hirten mit ihrem Vieh, ein loderndes Feuer vor einem Felsstumpf (auf dem eine Ziege turnt), den Fliehenden Rast versprechend.
Das vierte Bild dann, die ganze obere Hälfte des Gemäldes, zeigt nichts als den unendlichen Nachthimmel über der schwarzen Kulisse der Bäume, mit der Milchstraße und weiteren Hunderten blitzender Lichtlein. Tröstlich fern, tröstlich kalt: Wie wenig den Himmel die Erde schert!
Wie wenig die Erde der Himmel. Joseph sieht ihn nicht, er blickt nach dem Kind, Maria zu ihm. Die Hirten sehen ihn nicht, sie starren ins Feuer. Die Tiere, wie verzaubert, glotzen still. Einer der Hirten facht die Glut, Funken sprühen durch die Nacht direkt der Milchstraße zu. Sternenfunken.
Was flüstert Joseph da? Will er dem Kind eine Feder reichen oder ein Zweiglein? Schläft das Kind, wie die Wolken, die den Mond umgeben, wie das Wasser schläft, der Esel auch, offenen Auges im Gehen? Oder will es nicht schlafen? Aus dem Fluchtgepäck lugen eine Korbflasche und eine Kasserolle mit langem Stiel.
Schauten die Menschen einmal nur nach oben: Wie leer der Himmel ist, so sternenvoll! Er spricht nicht, er schweigt nicht – er flimmert, schwebt, weder Bedrohung für die Fliehenden noch Schutz. Ganz allein sind sie, dass man ihnen helfen möchte. Aber niemand ängstigt sich auf diesem Bild. Niemand fragt nach Hilfe. Denn es muss ja, auch unter dem neuen Himmel Galileis, doch alles so geschehen, wie es geschrieben steht.
Das ist der Trost dieses Bildes. Das ist sein Schrecken. Das ist Elsheimers Kunst, und einmal gesehen in den hohen Sälen der Alten Pinakothek, lässt sie einen nie wieder los.
DIE ZEIT |Nr. 53 v. 21.12.2016 | S. 48
Ankucken! Adam Elsheimers Meisterwerk »Flucht nach Ägypten« in München
von Benedikt Erenz
Nach München, eines einzigen Bildes wegen. Es muss sein. In der Alten Pinakothek hängt es, nicht groß. 31 mal 41 Zentimeter, im Jahre des Herrn 1609 mit Ölfarbe auf Kupfer gemalt. Der Künstler: Adam Elsheimer, geboren 1578 in Frankfurt am Main. Der Ort: Rom. Rom zur Zeit des Galileo Galilei. Das Motiv: die Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten, wie sie uns das Neue Testament erzählt.
Ein Nachtstück mit Mond. Elsheimer, so heißt es, und die Wissenschaftler prüften das genau, habe hier erstmals den Sternenhimmel astronomisch exakt gemalt, so wie ihn uns der Blick durchs Fernrohr offenbart. Das Fernrohr war damals ganz neu, gerade erst erfunden. Auch den Mond habe Elsheimer ganz realistisch getroffen, mit seiner Kraterlandschaft, seinem Schattenrelief.
Ein wahres, ein magisches Bild. Ganz still zieht es den Betrachter in seinen Bann, selbst die Farben flüstern. Seht es euch an! Seht selbst!
Eigentlich, das wird man gleich bemerken, sind es vier Bilder. Vier Bilder in einem, in einer vertraut erscheinenden Landschaft, vielleicht am Main irgendwo, unterhalb Frankfurts. Oder in Italien. Es ist gleich. Nur orientalisch wirkt sie nicht.
Das erste Bild im Bild zeigt den butterweißen Mond, der sich im stehenden Wasser spiegelt. Das zweite, im Vordergrund, die Heilige Familie: Maria auf dem Esel, das Kind im Arm, Joseph zur Seite, der mit einer Fackel den Pfad beleuchtet. Das dritte, im Hintergrund zur Linken, Hirten mit ihrem Vieh, ein loderndes Feuer vor einem Felsstumpf (auf dem eine Ziege turnt), den Fliehenden Rast versprechend.
Das vierte Bild dann, die ganze obere Hälfte des Gemäldes, zeigt nichts als den unendlichen Nachthimmel über der schwarzen Kulisse der Bäume, mit der Milchstraße und weiteren Hunderten blitzender Lichtlein. Tröstlich fern, tröstlich kalt: Wie wenig den Himmel die Erde schert!
Wie wenig die Erde der Himmel. Joseph sieht ihn nicht, er blickt nach dem Kind, Maria zu ihm. Die Hirten sehen ihn nicht, sie starren ins Feuer. Die Tiere, wie verzaubert, glotzen still. Einer der Hirten facht die Glut, Funken sprühen durch die Nacht direkt der Milchstraße zu. Sternenfunken.
Was flüstert Joseph da? Will er dem Kind eine Feder reichen oder ein Zweiglein? Schläft das Kind, wie die Wolken, die den Mond umgeben, wie das Wasser schläft, der Esel auch, offenen Auges im Gehen? Oder will es nicht schlafen? Aus dem Fluchtgepäck lugen eine Korbflasche und eine Kasserolle mit langem Stiel.
Schauten die Menschen einmal nur nach oben: Wie leer der Himmel ist, so sternenvoll! Er spricht nicht, er schweigt nicht – er flimmert, schwebt, weder Bedrohung für die Fliehenden noch Schutz. Ganz allein sind sie, dass man ihnen helfen möchte. Aber niemand ängstigt sich auf diesem Bild. Niemand fragt nach Hilfe. Denn es muss ja, auch unter dem neuen Himmel Galileis, doch alles so geschehen, wie es geschrieben steht.
Das ist der Trost dieses Bildes. Das ist sein Schrecken. Das ist Elsheimers Kunst, und einmal gesehen in den hohen Sälen der Alten Pinakothek, lässt sie einen nie wieder los.
DIE ZEIT |Nr. 53 v. 21.12.2016 | S. 48