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Als Soldat verweigern:
Die Freiheit hat ihren Preis
Stefan Paulsen verpflichtet sich für 17 Jahre bei der Bundeswehr. Er geht zum Sanitätsdienst, studiert Medizin, strebt eine Karriere beim Militär an. Doch dann meldet sich sein Gewissen und er verweigert den Militärdienst: Ein langwieriges Verfahren voller Hürden, Rückschlägen und Überraschungen.
von IMKE PLESCH | evangelisch.de
Freiheit – das ist heute das wichtigste Wort für Stefan Paulsen. Er benutzt es immer wieder. „Ich bin jetzt wieder ein freier Mann“, sagt der 27-Jährige gleich nach der Begrüßung. Wenn er über seine Zeit bei der Bundeswehr spricht, fallen oft Begriffe wie Ketten oder Käfig. Er hatte sich als Sanitätsoffiziersanwärter verpflichtet – für 17 Jahre.
Ein Verfahren über die Rückforderungen der Ausbildungskosten von der Bundeswehr steht noch bevor. Deshalb soll er hier Stefan Paulsen heißen, auch wenn das nicht sein richtiger Name ist. Er möchte nicht, dass es am Ende noch mal Komplikationen gibt, jetzt wo das Schlimmste doch überstanden ist.
Medizin-Studium bei der Bundeswehr
Zu dieser Zeit gibt es noch den Wehrdienst – jeder junge Mann muss für neun Monate zur Bundeswehr, wenn er nicht ausgemustert wird oder verweigert. Paulsen verweigert nicht. „Ich hatte nichts gegen den Grundwehrdienst. Außerdem wollte ich sagen können, dass ich meinem Land gedient habe. Und man wusste ja, dass es nach neun Monaten vorbei ist.“
Doch während seines Grundwehrdienstes geraten seine Eltern in eine finanzielle Krise. Sie haben jetzt viel mit sich selbst zu tun und sagen ihrem Sohn, dass sie ihn bei seinem Studium nicht unterstützen können. Da überlegt Paulsen, sich bei der Bundeswehr zu verpflichten und dort Medizin zu studieren. „Das feste monatliche Gehalt, der lange Vertrag – ich hab das als Chance gesehen. Es hat mir ein enormes Gefühl der Sicherheit gegeben.“
Paulsen macht die dreitägige Eignungsprüfung in Köln, die alle Offiziersanwärter bestehen müssen. Die Prüfung ist schwer, nur wenige sind am dritten Tag noch dabei. Paulsen besteht. „Ich war stolz, dass ich das geschafft habe.“
Im Sommer beginnt sein Vertrag. Für Medizin hat die Bundeswehr ein Kontingent an zivilen Studienplätzen, Paulsen wählt eine Universität in der Nähe seines Heimatortes.
Einschneidendes Erlebnis im Bundeswehrkrankenhaus
Vor dem Studienbeginn im Herbst macht er den Krankenpflegedienst in einem Bundeswehrkrankenhaus. Dort hat er eine folgenschwere Begegnung. Im OP fragt ihn eine Ärztin: „Warum willst du denn Soldat werden und nicht Arzt?“ Er hat keine Antwort. „Das war wie ein Schlag.“
Ab diesem Moment lassen sich die Zweifel
nicht mehr verdrängen. Paulsen wird klar, dass für ihn der Ethos des Arztes und der Ethos des Soldaten keine Schnittmenge haben. „Ein Mediziner will das Beste für seinen Patienten, er will Schaden lindern. Das Militär geht immer mit Schaden einher. Ich hatte so ein Gefühl im Herzen, dass ich das nicht will. Ich wollte Arzt sein, nicht Soldat.“
Die Studienbelastung in den ersten Semestern lässt Paulsen wenig Zeit zum Nachdenken. „Aber da war jetzt immer das Gefühl, dass da etwas ist, worum ich mich noch kümmern muss – wie ein Stachel im Rücken, der immer piekst.“
Kriegsdienst verweigern? Die Familie hat dafür kein Verständnis
Mit der Bundeswehr hat er im Studium nicht viel zu tun. Zweimal hat er einen zweiwöchigen Lehrgang an der Sanitätsakademie in München. Ansonsten muss er, um Kontakt zu halten, alle paar Wochen in seine Kaserne fahren, außerdem gibt es Semestertreffen.
Er wird jetzt immer nachdenklicher, zurückhaltender. Das merkt auch seine Freundin. Doch es dauert eine Weile, bis er sich ihr anvertrauen kann. Zwei, drei gute Freunde helfen ihm auch in dieser Zeit. Bei seinen Eltern stößt Paulsen allerdings auf Unverständnis, seine Großeltern behaupten, seine Freundin hätte ihm diesen „Floh ins Ohr gesetzt“.
Stefan ruft den Pfarrer an und lässt sich taufen
Er beginnt Schriften der Friedensnobelpreisträger Bertha von Suttner und Albert Schweitzer zu lesen. Auf der Suche nach Jemandem zum Reden, ruft Paulsen irgendwann auch den Pastor seiner Kirchengemeinde an. Der bestätigt ihn in seinen Moralvorstellungen. „Ich habe mich in der Gemeinde sehr aufgehoben gefühlt. Und es war wichtig für mich zu wissen, dass ich die richtige Entscheidung treffe.“
Er vertraut jetzt auf sein Gewissen als oberster Instanz, wird sich klar darüber, dass er Pazifist ist. Drei Jahre nach seinem Studienbeginn lässt Paulsen sich taufen. Sein Taufspruch lautet: „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen, beständigen Geist.“
Irgendwann ist Paulsen sich seiner Sache ganz sicher. „Für mich war es elementar, dass ich die Bundeswehr verlassen muss, um wieder im Einklang mit meinem Gewissen zu leben. Es gab keine Alternative. Sonst wäre ich psychisch in die Knie gegangen.“
Antrag abgelehnt - Stefan legt Beschwerde ein
Nach der Zwischenprüfung, wendet er sich an den Bremer Rechtsanwalt Franz Korzus, der auf die Beratung von Kriegsdienstverweigerern spezialisiert ist. Gemeinsam bereiten sie den Antrag auf Entlassung wegen besonderer Härte aufgrund eines Gewissenskonflikts vor.
Nachdem er im Frühjahr den Antrag an das Personalamt der Bundeswehr in Köln gestellt hat, passiert – nichts. Bis zum Spätherbst, als ein Brief kommt mit der einfachen Antwort: Antrag abgelehnt. Er legt Beschwerde ein - erfolglos.
Das Hauptproblem ist, dass Sanitätsangehörigen keine Verweigerung aus Gewissensgründen zugestanden wird, weil sie nicht direkt an Kampfhandlungen beteiligt seien. Doch für Paulsen gibt es keinen Unterschied zwischen unmittelbarer und mittelbarer Beteiligung. Auch Militärärzte tragen Waffen. Sie können nicht frei nach der medizinischen Notwendigkeit handeln, sondern müssen bei ihren Entscheidungen auf militärische Vorgaben Rücksicht nehmen.
Die Bundeswehr setzt ihn unter Druck
Das Verfahren zieht sich „wie Kaugummi“, sagt Paulsen. Was er der Bundeswehr vorwirft, ist der fehlende persönliche Kontakt während dieser Zeit. Alles läuft über Briefe, auf dem Verwaltungsweg. Ein einziges, halbstündiges Gespräch hat er, im Personalamt der Bundeswehr in Köln.
Auch dort sitzt Paulsen nicht dem Beamten gegenüber, der später über seinen Antrag entscheidet. Statt gemeinsam nach einer Lösung zu suchen, versucht man, ihn in dem Gespräch unter Druck zu setzen. Mit der finanziellen Sicherheit, die er aufgäbe und mit den hohen Rückzahlungsforderungen, die auf ihn zukämen.
Paulsen wünscht sich, dass Soldaten die Möglichkeit bekommen, sich umzuentscheiden, sich vielleicht erst mal nur für eine kürzere Zeit zu verpflichten. Oder dass die Bundeswehr gleich von vornherein eine Summe benennt, die man zurückzahlen muss, wenn man frühzeitig aussteigt. So würden die zermürbende Unsicherheit, die Jahre des Wartens während des Verfahrens wegfallen. Paulsen sagt, dass immer die Gefahr bestand, an dem Druck kaputt zu gehen. „Es gab da schon sehr schwarze Momente.“
Immerhin wird das Verhältnis zu seinen Eltern wieder besser. Sie verstehen, wie essentiell die Entscheidung für ihren Sohn ist. Auch Sport hilft Paulsen, hier tankt er Energie und Willensstärke. Er glaubt fest daran, dass das Verfahren einen guten Ausgang nehmen wird und er – auch wenn er sich wie David gegen Goliath fühlt – den längeren Atem hat.
Stefan wird lange für seine Freiheit arbeiten müssen
Im Februar 2012 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht, dass nun auch Soldaten im Sanitätsdienst ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung haben. Gemeinsam mit Rechtsanwalt Korzus adressiert Paulsen seinen Antrag an das nun zuständige Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Paulsen studiert weiter, erhält immer noch knapp 2.000 Euro Sold im Monat, als sei nichts geschehen.
Doch seit er seinen Antrag gestellt hat, legt er Geld zur Seite. Er weiß, dass die Rückforderungen der Bundeswehr am Ende im sechsstelligen Bereich liegen können. Auch sein Rechtsanwalt kostet viel Geld. Aber das schreckt ihn nicht. Andere arbeiten vielleicht, um sich einen Sportwagen leisten zu können – Paulsen wird noch lange für seine Freiheit arbeiten.
Von der Bundeswehr kommt per Post ein Zweizeiler
Im Sommer kommt der Anruf. Rechtsanwalt Korzus meldet sich bei Paulsen und sagt ihm, dass der Antrag durchgekommen ist. „Mir hat der Atem gestockt. Ich hätte fast geweint.“ Von der Bundeswehr selbst erhält er nur einen Zweizeiler per Post: „Sie sind berechtigt, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern. Dieser Bescheid ist unanfechtbar.“
Er klebt sich den Brief an die Zimmertür. Nun muss er nur noch seine Uniform in der Kaserne abgeben und ein paar Formalien erledigen. In seiner Betreuungseinheit hätten sie viel Verständnis für ihn gehabt, niemand sei ihm boshaft gegenüber getreten, erzählt Paulsen. Im Herbst wird er aus der Bundeswehr entlassen, kurz darauf beendet er sein Studium.
Seit diesem Frühjahr arbeitet er nun beim Blutspendedienst und promoviert nebenbei. In seiner Freizeit fährt er oft ans Meer. Er mag seine Heimat, er ist glücklich, dass er hier sein kann, glücklich, dass er jetzt seine Ideale leben kann. Er kann sich vorstellen, eine HNO-Praxis aufzubauen, eine gute Balance zu finden zwischen Arbeit und Familie. Aber er plant heute nicht mehr so weit, nicht mehr als zwei Jahre. Vielleicht geht er auch mal mit Ärzte ohne Grenzen in Krisengebiete. Die Hauptsache ist, dass er das frei entscheiden kann.
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leicht gekürzt aus: http://zivil.evangelisch.de/topthema/9177/als-soldat-verweigern-die-freiheit-hat-ihren-preis
Als Soldat verweigern:
Die Freiheit hat ihren Preis
Stefan Paulsen verpflichtet sich für 17 Jahre bei der Bundeswehr. Er geht zum Sanitätsdienst, studiert Medizin, strebt eine Karriere beim Militär an. Doch dann meldet sich sein Gewissen und er verweigert den Militärdienst: Ein langwieriges Verfahren voller Hürden, Rückschlägen und Überraschungen.
von IMKE PLESCH | evangelisch.de
Freiheit – das ist heute das wichtigste Wort für Stefan Paulsen. Er benutzt es immer wieder. „Ich bin jetzt wieder ein freier Mann“, sagt der 27-Jährige gleich nach der Begrüßung. Wenn er über seine Zeit bei der Bundeswehr spricht, fallen oft Begriffe wie Ketten oder Käfig. Er hatte sich als Sanitätsoffiziersanwärter verpflichtet – für 17 Jahre.
Ein Verfahren über die Rückforderungen der Ausbildungskosten von der Bundeswehr steht noch bevor. Deshalb soll er hier Stefan Paulsen heißen, auch wenn das nicht sein richtiger Name ist. Er möchte nicht, dass es am Ende noch mal Komplikationen gibt, jetzt wo das Schlimmste doch überstanden ist.
Medizin-Studium bei der Bundeswehr
Zu dieser Zeit gibt es noch den Wehrdienst – jeder junge Mann muss für neun Monate zur Bundeswehr, wenn er nicht ausgemustert wird oder verweigert. Paulsen verweigert nicht. „Ich hatte nichts gegen den Grundwehrdienst. Außerdem wollte ich sagen können, dass ich meinem Land gedient habe. Und man wusste ja, dass es nach neun Monaten vorbei ist.“
Doch während seines Grundwehrdienstes geraten seine Eltern in eine finanzielle Krise. Sie haben jetzt viel mit sich selbst zu tun und sagen ihrem Sohn, dass sie ihn bei seinem Studium nicht unterstützen können. Da überlegt Paulsen, sich bei der Bundeswehr zu verpflichten und dort Medizin zu studieren. „Das feste monatliche Gehalt, der lange Vertrag – ich hab das als Chance gesehen. Es hat mir ein enormes Gefühl der Sicherheit gegeben.“
Paulsen macht die dreitägige Eignungsprüfung in Köln, die alle Offiziersanwärter bestehen müssen. Die Prüfung ist schwer, nur wenige sind am dritten Tag noch dabei. Paulsen besteht. „Ich war stolz, dass ich das geschafft habe.“
Im Sommer beginnt sein Vertrag. Für Medizin hat die Bundeswehr ein Kontingent an zivilen Studienplätzen, Paulsen wählt eine Universität in der Nähe seines Heimatortes.
Einschneidendes Erlebnis im Bundeswehrkrankenhaus
Vor dem Studienbeginn im Herbst macht er den Krankenpflegedienst in einem Bundeswehrkrankenhaus. Dort hat er eine folgenschwere Begegnung. Im OP fragt ihn eine Ärztin: „Warum willst du denn Soldat werden und nicht Arzt?“ Er hat keine Antwort. „Das war wie ein Schlag.“
Ab diesem Moment lassen sich die Zweifel
nicht mehr verdrängen. Paulsen wird klar, dass für ihn der Ethos des Arztes und der Ethos des Soldaten keine Schnittmenge haben. „Ein Mediziner will das Beste für seinen Patienten, er will Schaden lindern. Das Militär geht immer mit Schaden einher. Ich hatte so ein Gefühl im Herzen, dass ich das nicht will. Ich wollte Arzt sein, nicht Soldat.“
Die Studienbelastung in den ersten Semestern lässt Paulsen wenig Zeit zum Nachdenken. „Aber da war jetzt immer das Gefühl, dass da etwas ist, worum ich mich noch kümmern muss – wie ein Stachel im Rücken, der immer piekst.“
Kriegsdienst verweigern? Die Familie hat dafür kein Verständnis
Mit der Bundeswehr hat er im Studium nicht viel zu tun. Zweimal hat er einen zweiwöchigen Lehrgang an der Sanitätsakademie in München. Ansonsten muss er, um Kontakt zu halten, alle paar Wochen in seine Kaserne fahren, außerdem gibt es Semestertreffen.
Er wird jetzt immer nachdenklicher, zurückhaltender. Das merkt auch seine Freundin. Doch es dauert eine Weile, bis er sich ihr anvertrauen kann. Zwei, drei gute Freunde helfen ihm auch in dieser Zeit. Bei seinen Eltern stößt Paulsen allerdings auf Unverständnis, seine Großeltern behaupten, seine Freundin hätte ihm diesen „Floh ins Ohr gesetzt“.
Stefan ruft den Pfarrer an und lässt sich taufen
Er beginnt Schriften der Friedensnobelpreisträger Bertha von Suttner und Albert Schweitzer zu lesen. Auf der Suche nach Jemandem zum Reden, ruft Paulsen irgendwann auch den Pastor seiner Kirchengemeinde an. Der bestätigt ihn in seinen Moralvorstellungen. „Ich habe mich in der Gemeinde sehr aufgehoben gefühlt. Und es war wichtig für mich zu wissen, dass ich die richtige Entscheidung treffe.“
Er vertraut jetzt auf sein Gewissen als oberster Instanz, wird sich klar darüber, dass er Pazifist ist. Drei Jahre nach seinem Studienbeginn lässt Paulsen sich taufen. Sein Taufspruch lautet: „Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen, beständigen Geist.“
Irgendwann ist Paulsen sich seiner Sache ganz sicher. „Für mich war es elementar, dass ich die Bundeswehr verlassen muss, um wieder im Einklang mit meinem Gewissen zu leben. Es gab keine Alternative. Sonst wäre ich psychisch in die Knie gegangen.“
Antrag abgelehnt - Stefan legt Beschwerde ein
Nach der Zwischenprüfung, wendet er sich an den Bremer Rechtsanwalt Franz Korzus, der auf die Beratung von Kriegsdienstverweigerern spezialisiert ist. Gemeinsam bereiten sie den Antrag auf Entlassung wegen besonderer Härte aufgrund eines Gewissenskonflikts vor.
Nachdem er im Frühjahr den Antrag an das Personalamt der Bundeswehr in Köln gestellt hat, passiert – nichts. Bis zum Spätherbst, als ein Brief kommt mit der einfachen Antwort: Antrag abgelehnt. Er legt Beschwerde ein - erfolglos.
Das Hauptproblem ist, dass Sanitätsangehörigen keine Verweigerung aus Gewissensgründen zugestanden wird, weil sie nicht direkt an Kampfhandlungen beteiligt seien. Doch für Paulsen gibt es keinen Unterschied zwischen unmittelbarer und mittelbarer Beteiligung. Auch Militärärzte tragen Waffen. Sie können nicht frei nach der medizinischen Notwendigkeit handeln, sondern müssen bei ihren Entscheidungen auf militärische Vorgaben Rücksicht nehmen.
Die Bundeswehr setzt ihn unter Druck
Das Verfahren zieht sich „wie Kaugummi“, sagt Paulsen. Was er der Bundeswehr vorwirft, ist der fehlende persönliche Kontakt während dieser Zeit. Alles läuft über Briefe, auf dem Verwaltungsweg. Ein einziges, halbstündiges Gespräch hat er, im Personalamt der Bundeswehr in Köln.
Auch dort sitzt Paulsen nicht dem Beamten gegenüber, der später über seinen Antrag entscheidet. Statt gemeinsam nach einer Lösung zu suchen, versucht man, ihn in dem Gespräch unter Druck zu setzen. Mit der finanziellen Sicherheit, die er aufgäbe und mit den hohen Rückzahlungsforderungen, die auf ihn zukämen.
Paulsen wünscht sich, dass Soldaten die Möglichkeit bekommen, sich umzuentscheiden, sich vielleicht erst mal nur für eine kürzere Zeit zu verpflichten. Oder dass die Bundeswehr gleich von vornherein eine Summe benennt, die man zurückzahlen muss, wenn man frühzeitig aussteigt. So würden die zermürbende Unsicherheit, die Jahre des Wartens während des Verfahrens wegfallen. Paulsen sagt, dass immer die Gefahr bestand, an dem Druck kaputt zu gehen. „Es gab da schon sehr schwarze Momente.“
Immerhin wird das Verhältnis zu seinen Eltern wieder besser. Sie verstehen, wie essentiell die Entscheidung für ihren Sohn ist. Auch Sport hilft Paulsen, hier tankt er Energie und Willensstärke. Er glaubt fest daran, dass das Verfahren einen guten Ausgang nehmen wird und er – auch wenn er sich wie David gegen Goliath fühlt – den längeren Atem hat.
Stefan wird lange für seine Freiheit arbeiten müssen
Im Februar 2012 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht, dass nun auch Soldaten im Sanitätsdienst ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung haben. Gemeinsam mit Rechtsanwalt Korzus adressiert Paulsen seinen Antrag an das nun zuständige Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Paulsen studiert weiter, erhält immer noch knapp 2.000 Euro Sold im Monat, als sei nichts geschehen.
Doch seit er seinen Antrag gestellt hat, legt er Geld zur Seite. Er weiß, dass die Rückforderungen der Bundeswehr am Ende im sechsstelligen Bereich liegen können. Auch sein Rechtsanwalt kostet viel Geld. Aber das schreckt ihn nicht. Andere arbeiten vielleicht, um sich einen Sportwagen leisten zu können – Paulsen wird noch lange für seine Freiheit arbeiten.
Von der Bundeswehr kommt per Post ein Zweizeiler
Im Sommer kommt der Anruf. Rechtsanwalt Korzus meldet sich bei Paulsen und sagt ihm, dass der Antrag durchgekommen ist. „Mir hat der Atem gestockt. Ich hätte fast geweint.“ Von der Bundeswehr selbst erhält er nur einen Zweizeiler per Post: „Sie sind berechtigt, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern. Dieser Bescheid ist unanfechtbar.“
Er klebt sich den Brief an die Zimmertür. Nun muss er nur noch seine Uniform in der Kaserne abgeben und ein paar Formalien erledigen. In seiner Betreuungseinheit hätten sie viel Verständnis für ihn gehabt, niemand sei ihm boshaft gegenüber getreten, erzählt Paulsen. Im Herbst wird er aus der Bundeswehr entlassen, kurz darauf beendet er sein Studium.
Seit diesem Frühjahr arbeitet er nun beim Blutspendedienst und promoviert nebenbei. In seiner Freizeit fährt er oft ans Meer. Er mag seine Heimat, er ist glücklich, dass er hier sein kann, glücklich, dass er jetzt seine Ideale leben kann. Er kann sich vorstellen, eine HNO-Praxis aufzubauen, eine gute Balance zu finden zwischen Arbeit und Familie. Aber er plant heute nicht mehr so weit, nicht mehr als zwei Jahre. Vielleicht geht er auch mal mit Ärzte ohne Grenzen in Krisengebiete. Die Hauptsache ist, dass er das frei entscheiden kann.
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Hilfe für Soldaten, die verweigern wollen:
Die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden informiert, berät und begleitet Soldatinnen und Soldaten während ihrer Verfahren. Nähere Infos: www.eak-online.de
leicht gekürzt aus: http://zivil.evangelisch.de/topthema/9177/als-soldat-verweigern-die-freiheit-hat-ihren-preis