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GroKo-Talk bei Plasberg:
"Grausam, einfach nur grausam"
Von Mathias Zschaler | SPIEGEL-ONLINE
Kippt die SPD-Basis die Große Koalition? Nicht doch, versichert die Parteiführung und gibt sich siegessicher. Im TV-Talk "Hart aber fair" traf der als Minister gehandelte Thomas Oppermann auf einen Vertreter seines Berliner Ortsvereins - und aus war's mit dem Wohlfühl-Gefühl.
Thomas Oppermann, SPD-Fraktionsgeschäftsführer und Minister in spe, rang sich pflichtschuldig einen Appell ab: "Norbert, ihr solltet euch das noch mal überlegen."
Doch der Genosse Kustin von der Spandauer SPD dachte gar nicht daran, das ablehnende Votum seines Berliner Ortsvereins in Frage zu stellen, sondern nannte den Koalitionsvertrag "grausam, einfach nur grausam", für Deutschland wie für Europa - weit weg jedenfalls von einem Politikwechsel und eine Last, die schwer zu tragen sei. Norbert Kustin verkörperte in Frank Plasbergs "Hart aber fair"-Sendung unerbittlich die Opposition - nicht die einzige, aber womöglich die härteste und problematischste. Und er nutzte die Gelegenheit zu einem veritablen Wahlaufruf.
Dem netten, wenn auch leicht angespannt wirkenden Herrn Oppermann blieb nicht viel anderes übrig, als das fairerweise irgendwie zur Kenntnis zu nehmen, nachdem er sich eben noch geradezu emphatisch über die segensreiche Wirkung der Mitgliederbefragung zur Belebung der Demokratie geäußert hatte. Wobei es, klar, auch ein Risiko gebe. Aber vorstellen wollte er sich ein Scheitern des schwarz-roten Pakts eigentlich nicht, sondern wagte am Ende gar die Prognose, dass die Abstimmung 70:30 ausgehen werde.
"Kleinlich, bürokratisch und ängstlich"
Moralischen Beistand fand Oppermann in Ursula von der Leyen, als Ministerin sowohl amtierend als auch gleichfalls in spe, die diesmal zwar ein wenig angestrengt dauerlächelte, jedoch mühelos größtes christdemokratisches Verständnis dafür aufbrachte, dass die SPD "sich selbst die Frage stellt", wie sie es denn nun mit der Großen Koalition halten wolle. Einträchtig saßen die zwei nebeneinander, ein recht zufrieden wirkendes Paar, das einander ein ums andere Mal bescheinigte, wie gut all das Beschlossene doch für das Land, wie deutlich die sozialdemokratische Handschrift zu erkennen sei respektive jene der CDU. Nahezu lyrisch pries die Ministerin "den Weg, den wir gemeinsam gehen", gesäumt von seinen "sozialen Leitplanken".
Wenn da nur nicht die Oppositionellen gewesen wären, die das Ganze dann doch ein wenig anders sahen, vorneweg Roland Tichy, Chef der "Wirtschaftswoche", der der Spandauer SPD in puncto Kritikschärfe kaum nachstand, wenn auch selbstverständlich aus völlig anderen Gründen.
So gelang es ihm, einerseits den Mitgliederentscheid grundsätzlich für falsch zu halten, gleichzeitig aber auf ein Nein der Basis zu hoffen, um den noch viel falscheren Koalitionsvertrag mit all seinen noch unbezahlten Geschenken zu verhindern, der ohnehin nichts wert sei, da lediglich Absichtserklärung, aber leider eben geeignet, "kleinlich, bürokratisch und ängstlich" wie er sei, die deutsche Wirtschaft zu ruinieren. Viel Bitterkeit herrsche deswegen im Lande.
"Da seid ihr hasenfüßig"
Und als sei dies des Schreckens nicht genug, setzte Wirtschaftsfreund Tichy noch eins drauf und beschwor das Szenario einer "links dominierten Regierung und einer linken Opposition im Parlament".
Letztere präsentierte sich an diesem Abend weiblich und weitgehend sachlich, was das schwarz-rote Duo aber umso deutlicher in die Defensive brachte. Denn da gab es ja nun doch so einiges, was Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt und die Linken-Vorsitzende Katja Kipping an der verabredeten großkoalitionären Politik auszusetzen hatten. Das begann bei der ausbleibenden "sozial-ökologischen Gerechtigkeitswende" (Kipping) und endete bei der Generationengerechtigkeit, die ebenfalls vermisst wurde, und dazwischen brachte die Grüne Punkt für Punkt eine stattliche Mängelliste unter, von den Kitas über die Ganztagsschulen bis hin zum Kampf gegen die Altersarmut von Frauen.
Und in einer Hinsicht war man sich dann sogar auch mit Herrn Tichy einig: dass es ein großer Fehler der SPD sei, die Kabinettspersonalien sowie den Zuschnitt der Ministerien nicht mit zur Abstimmung zu stellen. "Da seid ihr hasenfüßig", befand Frau Göring-Eckardt, was ein interessantes kleines Intermezzo über die Frage nach sich zog, ob sie sich nun mit Herrn Oppermann duze oder nicht, woraufhin dieser demonstrativ zum Sie zurückkehrte. Dass an ihm übrigens der größte Teil der Abwehrarbeit hängenblieb, weil seine Kollegin von der Leyen mit fortschreitender Zeit immer wortkarger wurde, ließ sich bei all dem vielleicht als ganz spezielle Gerechtigkeitslücke betrachten.
Zum Bau des BER bekennt man sich - nicht zu seiner Fertigstellung
Als die Rede dann unvermeidlicherweise auch auf die ominöse Pkw-Maut kam, sagte sie überhaupt nichts mehr. Per Einspieler wurde noch einmal an die verblüffende Metamorphose erinnert, die der entsprechende Beschluss binnen kürzester Zeit durchmachte, was Oppermann zu der knappen Feststellung veranlasste, Horst Seehofer habe "ein echtes Problem". Und die Grüne prophezeite im Ton fester Überzeugung: "Die Maut wird nicht kommen."
Die Kombination aus den Themen Infrastruktur und problematische Projekte lieferte ihr dann den Stoff für eine Pointe, die beim Publikum Gelächter hervorrief, von den beiden Koalitionären indes wohl nicht ganz so witzig gefunden wurde. Genüsslich-spöttisch zitierte Göring-Eckardt eine Passage aus dem Vertrag, mit der man sich "zum Bau" des neuen Berliner Großflughafens "bekennt", nicht aber zu seiner Fertigstellung, und mutmaßte, womöglich sei dies ja überhaupt symptomatisch für das, was da insgesamt so alles ausgehandelt worden sei.
Nachts leidet die Entscheidungsfähigkeit
Das geschah bekanntlich vorzugsweise in langen Nachtsitzungen. Und was nun deren Besonderheiten betrifft, so hatte Moderator Plasberg zum Schluss noch eine kurze, süffisante Nachbetrachtung zu bieten. Gezeigt wurde ein Bild von Unterhändlern, die müde in ihren Stühlen hängen, nachdem sie eine Flasche Wein geleert haben. Passend dazu kam ein Schlafforscher zu Wort, der darauf hinwies, dass bei solchen nächtlichen Veranstaltungen Urteils- und Entscheidungsfähigkeit gewissen Einschränkungen unterliegen.
Eine Warnung, von der sich noch zeigen muss, ob sie tatsächlich zu spät erfolgte.