Armut? Nein danke!
Vieles geschönt, Brisantes gestrichen: Die Bundesregierung erweckt mit ihrem neuen Armuts- und Reichtumsbericht den Eindruck, als wolle sie gar keine Politik machen. Jedenfalls keine gerechte. Angela Merkel und Philipp Rösler sind und bleiben das Dream Team der Reichen.
Ein Zwischenruf von Franz Segbers
Die Arbeitslosigkeit sei auf den niedrigsten Stand seit der Einführung von Hartz IV; es gebe Beschäftigtenzahlen wie noch nie: Dieses schöne Bild einer erfolgreichen Regierungspolitik wollte sich die Bundesregierung durch einen Armuts- und Reichtumsbericht nicht vermiesen lassen.
Pech nur, dass zum ersten Mal nicht hinter verschlossenen Türen der Ministerien, sondern vor aller Augen geschönt, gestrichen, zensiert und korrigiert wurde, was nicht sein sollte. Das FDP-geführte Wirtschaftsministerium unter Philipp Rösler nämlich machte sich daran, den im November des letzten Jahres bekannt gewordenen Entwurf des Berichts passgerecht zu machen. Altersarmut – derzeit in aller Munde – wird »kein Problem« genannt, denn es gibt die Grundsicherung. Auch Kinderarmut wird nicht thematisiert, lieber spricht die Regierung von den Bildungschancen. Im Vorentwurf konnte man noch lesen: »Die Privateinkommen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt.« Nach der FDP-Zensur fehlt dieser unschöne Satz.
Oben nimmt das Einkommen zu, unten sinken die Löhne
Doch an der Realität kommt sogar dieser Bericht nicht vorbei: Die untere Hälfte aller Haushalte verfügt nur über gut ein Prozent des gesamten Nettovermögens, während die reichsten zehn Prozent der Haushalte über die Hälfte des gesamten Nettovermögens ihr Eigen nennen. Das oberste Zehntel wird immer reicher und die untere Hälfte immer ärmer.
Nicht anders geht es bei der Lohnentwicklung zu: Oben nimmt das Einkommen zu und unten sinken die Löhne. »Eine solche Einkommensentwicklung verletzt das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung.« Dieser berechtigte Kommentar war in der Entwurfsfassung noch zu lesen und fiel der wirtschaftsministeriellen Zensur zum Opfer. Und dabei ist der Niedriglohn das Einfallstor für Armut. Wer im Niedriglohnsektor arbeitet, der ist arm trotz Arbeit und nur einen unvorhergesehenen Schicksalsschlag – wie Krankheit oder Scheidung – vom Absturz in Armut entfernt.
aus der ersten Seite von: "Der Hessische Landbote" von Georg Büchner, Juli 1834 |
Die Bundesregierung verwechselt den Armutsbericht mit einer Leistungsschau ihrer Regierungspolitik. Dabei ginge es darum, dass der Bericht Hinweise darauf gibt, welche Möglichkeiten ein Land hat, Armut zu bekämpfen. Deutschland ist reich. Deshalb hieß es auch völlig zu Recht noch im Entwurf, dass die Bundesregierung prüfen wolle, ob und wie über die Progression in der Einkommenssteuer hinaus privater Reichtum für die nachhaltige Finanzierung öffentlicher Aufgaben herangezogen werden kann. Doch aus dem Prüfauftrag wird nichts. In der Endfassung geht es um private Wohltätigkeit: »Privates Vermögen wird teilweise für wohltätige Zwecke aufgewendet.« Die Vermögenden sollen dazu gewonnen werden, sich künftig noch stärker für das Gemeinwesen zu engagieren. Im Blick ist dabei vor allem die Kultur – nicht die Armut. Dabei bräuchten wir stattdessen eine gerechte Steuerpolitik.
Das Problem ist nicht allein, dass die Regierung einen aufgehübschten Bericht vorgelegt hat. Der Skandal ist, dass er der Beweis für den Unwillen der Regierung ist, die Realität von Armut mitten in einem reichen Land überhaupt ernst zu nehmen.
Armut in einem reichen Land ist ein Skandal, der nicht hingenommen werden darf. Deshalb ist eine Forderung aus dem Sozialwort der Kirchen aus dem Jahr 1997 nach wie vor hoch aktuell: »Nicht nur Armut, auch Reichtum muss ein Thema der politischen Debatte sein. Umverteilung ist gegenwärtig häufig Umverteilung des Mangels, weil der Überfluss auf der anderen Seite geschont wird.«
http://www.publik-forum.de/Politik-Gesellschaft/armut-nein-danke
siehe auch:
http://nunchic.blogspot.de/search/label/Armuts-%20und%20Reichstumbericht
Franz Segbers, geboren 1949 im Ruhrgebiet, ist Professor für Sozialethik an der Universität Marburg. Bis 2012 war er Sprecher der Landesarmutskonferenz Rheinland-Pfalz, bis 2011 Referent für Arbeit, Ethik und Sozialpolitik im Diakonischen Werk Hessen und Nassau.