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Migrationsdebatte: Wer betrügt, wird gewählt
Eine S.P.O.N.-Kolumne von Jakob Augstein | Im Zweifel links | SPIEGEL-ONLINE
"Ist der Ali kriminell, in die Heimat aber schnell." So dichtete die NPD im Jahr 2011. Wenn sich die Verse-Schmiede der CSU zum rechtspopulistischen Lyrik-Seminar treffen, klingt es so: "Wer betrügt, der fliegt." Das reimt sich zwar nicht. Dafür stammt es aber von einer Partei, die an der Bundesregierung beteiligt ist - und nicht aus dem Wahlprogramm einer gesellschaftlich geächteten Splittergruppe. Ansonsten gibt es keinen Unterschied. Ausländerfeindlichkeit ist immer ekelhaft, egal ob sie sich bürgerlich tarnt oder gleich ihre extremistische Fratze zeigt.
In dieser Woche trifft sich die CSU zu ihrem jährlichen Initiationsritual in Wildbad Kreuth. Außerdem sind bald Europawahlen. Also wird in der Union wieder einmal die Furcht vor Ausländern geschürt. Diesmal dienen angebliche Sozial-Schnorrer aus Bulgarien und Rumänien als Sündenböcke deutscher Wahlkämpfer.
Ausländerfeindlichkeit aus dem Regierungslager - das ist mehr als eine harmlose bajuwarische Burleske. Der CDU-Politiker Elmar Brok, immerhin Chef des Auswärtigen Ausschusses des EU-Parlaments, hatte schon die Idee, Fingerabdrücke zu nehmen, um dem angeblichen Sozialtourismus vorzubeugen. Und Hessens CDU-Regierungschef Volker Bouffier (CDU) nutzte die Gelegenheit, sein konservatives Profil zu schärfen und von jedem Migranten zu fordern,"dass er sich darum bemüht, seinen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln zu bestreiten".
Das ist nur scheinbar ein vernünftiger Satz. Die Heimtücke liegt darin, ihn überhaupt auszusprechen. Offenbar ist es notwendig, die Mit-Europäer an das Selbstverständliche zu erinnern. Von allein kommen die nicht auf die Idee. Während man bei den CSU-Zwergen in den bayerischen Bergen offen NPD-ähnliche Sprüche klopft, spielt der vornehmere Bouffier mit dem ausländerfeindlichen Ressentiment, ohne sich die Finger daran schmutzig zu machen. Das hätten die Grünen, die sich mit diesem Mann in eine Koalition begeben haben, wissen können.
Mär von der Einwanderung in die Sozialsysteme
Das Ressentiment ist längst weit vorgedrungen. Im Jahr 2010 hieß es in einem Leitartikel der "Zeit": "Andererseits aber drängt sich der Verdacht auf, dass unser in Deutschland so angefeindetes Sozialsystem immer noch attraktiv genug ist, dass es eine massenhafte Einwanderung in die sozialen Netze auslöst - was das Prinzip der Einwanderung, in einem fremden Land durch eigener Hände Arbeit sein Glück zu finden, auf den Kopf stellte."
Die Mär von der "massenhaften Einwanderung in die sozialen Netze" war schon damals genau so falsch wie heute die Anspielungen aus Unionskreisen, arbeitsscheue Bulgaren und Rumänen wollten hier auf unsere Kosten die Füße hochlegen. All das stimmt einfach nicht. Es gibt Hartz-IV-Missbrauch. Und es gibt auch den Missbrauch von Sozialleistungen durch Migranten. Deswegen gibt es auch Gesetze gegen diesen Missbrauch. Es ist Sache der Städte und Gemeinden, diese Gesetze umzusetzen - nicht Seehofers Sache.
Aber darum geht es gar nicht. Es geht um die Frage: Handelt es sich bei solchem Missbrauch um ein Massenphänomen? Um eine Schwäche des Systems, die das dringende Eingreifen der Bundesregierung nahelegt? Die Antwort lautet: Darum handelt es sich nicht.
CSU übt Rechtspopulismus
Stattdessen handelt es sich um die Antwort der CSU auf den wachsenden Rechtspopulismus. Da mag der Chef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages noch so eindringlich davor warnen, der deutschen Wirtschaft mit handgestrickten Parolen zu schaden. 1,5 Millionen qualifizierte Arbeitskräfte brauche Deutschland nämlich bis 2025 aus dem Ausland.
Das kümmert Horst Seehofer und seine Rechtspopulisten nicht. Wenn es um die Ausländer geht (aber auch nur da) hält Seehofer es mit dem Monaco Franze: "A bisserl was geht immer."
Großbritannien, Niederlande, Frankreich, Ungarn, Norwegen - überall gibt man sich schon dem faulen Luxus des reaktionären Denkens hin. Europa erlebt gerade seine eigene Tea Party. Furcht vor den Ausländern, Misstrauen gegen die Zentralregierung und die kleinbürgerliche Sorge zwischen Reich und Arm zerdrückt zu werden - die neuen Rechts-Ideologien in Amerika und in Europa ähneln sich. Und jetzt kommen auch noch die Staats-Populisten von der Union?
Die Kanzlerin könnte sich dazu äußern. Stattdessen hat sie angekündigt, einen Ausschuss aus Staatssekretären einzurichten. Merkel ist in ihrer Politik des Wartens unbeirrbar. Diesmal wartet sie darauf, dass Kreuth vorübergeht und die Europawahl und dass die Schwellungen der CSU abklingen.
Und währenddessen erinnert die Grusel-Folklore aus dem konservativen Dämmerstübchen der CSU daran, welcher politische Bodensatz immer noch in der Union schlummert und jederzeit zu wecken ist.
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siehe unbedingt auch: http://nunchic.blogspot.de/2013/12/bild-apo-das-fingerhauen-im-konglomerat.html
Jakob Augstein |
Eine S.P.O.N.-Kolumne von Jakob Augstein | Im Zweifel links | SPIEGEL-ONLINE
Wenn es um Ausländer geht, macht Horst Seehofer den Monaco Franze: A bisserl was geht immer. Angela Merkel wartet und schweigt - und lässt damit zu, dass der Rechtspopulismus sich auch in Deutschland weiter ausbreitet.
"Ist der Ali kriminell, in die Heimat aber schnell." So dichtete die NPD im Jahr 2011. Wenn sich die Verse-Schmiede der CSU zum rechtspopulistischen Lyrik-Seminar treffen, klingt es so: "Wer betrügt, der fliegt." Das reimt sich zwar nicht. Dafür stammt es aber von einer Partei, die an der Bundesregierung beteiligt ist - und nicht aus dem Wahlprogramm einer gesellschaftlich geächteten Splittergruppe. Ansonsten gibt es keinen Unterschied. Ausländerfeindlichkeit ist immer ekelhaft, egal ob sie sich bürgerlich tarnt oder gleich ihre extremistische Fratze zeigt.
In dieser Woche trifft sich die CSU zu ihrem jährlichen Initiationsritual in Wildbad Kreuth. Außerdem sind bald Europawahlen. Also wird in der Union wieder einmal die Furcht vor Ausländern geschürt. Diesmal dienen angebliche Sozial-Schnorrer aus Bulgarien und Rumänien als Sündenböcke deutscher Wahlkämpfer.
Wenn es um Ausländer geht, macht Horst Seehofer den Monaco Franze: A bisserl was geht immer. |
Das ist nur scheinbar ein vernünftiger Satz. Die Heimtücke liegt darin, ihn überhaupt auszusprechen. Offenbar ist es notwendig, die Mit-Europäer an das Selbstverständliche zu erinnern. Von allein kommen die nicht auf die Idee. Während man bei den CSU-Zwergen in den bayerischen Bergen offen NPD-ähnliche Sprüche klopft, spielt der vornehmere Bouffier mit dem ausländerfeindlichen Ressentiment, ohne sich die Finger daran schmutzig zu machen. Das hätten die Grünen, die sich mit diesem Mann in eine Koalition begeben haben, wissen können.
Mär von der Einwanderung in die Sozialsysteme
Das Ressentiment ist längst weit vorgedrungen. Im Jahr 2010 hieß es in einem Leitartikel der "Zeit": "Andererseits aber drängt sich der Verdacht auf, dass unser in Deutschland so angefeindetes Sozialsystem immer noch attraktiv genug ist, dass es eine massenhafte Einwanderung in die sozialen Netze auslöst - was das Prinzip der Einwanderung, in einem fremden Land durch eigener Hände Arbeit sein Glück zu finden, auf den Kopf stellte."
Die Mär von der "massenhaften Einwanderung in die sozialen Netze" war schon damals genau so falsch wie heute die Anspielungen aus Unionskreisen, arbeitsscheue Bulgaren und Rumänen wollten hier auf unsere Kosten die Füße hochlegen. All das stimmt einfach nicht. Es gibt Hartz-IV-Missbrauch. Und es gibt auch den Missbrauch von Sozialleistungen durch Migranten. Deswegen gibt es auch Gesetze gegen diesen Missbrauch. Es ist Sache der Städte und Gemeinden, diese Gesetze umzusetzen - nicht Seehofers Sache.
Aber darum geht es gar nicht. Es geht um die Frage: Handelt es sich bei solchem Missbrauch um ein Massenphänomen? Um eine Schwäche des Systems, die das dringende Eingreifen der Bundesregierung nahelegt? Die Antwort lautet: Darum handelt es sich nicht.
CSU übt Rechtspopulismus
Stattdessen handelt es sich um die Antwort der CSU auf den wachsenden Rechtspopulismus. Da mag der Chef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages noch so eindringlich davor warnen, der deutschen Wirtschaft mit handgestrickten Parolen zu schaden. 1,5 Millionen qualifizierte Arbeitskräfte brauche Deutschland nämlich bis 2025 aus dem Ausland.
Das kümmert Horst Seehofer und seine Rechtspopulisten nicht. Wenn es um die Ausländer geht (aber auch nur da) hält Seehofer es mit dem Monaco Franze: "A bisserl was geht immer."
Großbritannien, Niederlande, Frankreich, Ungarn, Norwegen - überall gibt man sich schon dem faulen Luxus des reaktionären Denkens hin. Europa erlebt gerade seine eigene Tea Party. Furcht vor den Ausländern, Misstrauen gegen die Zentralregierung und die kleinbürgerliche Sorge zwischen Reich und Arm zerdrückt zu werden - die neuen Rechts-Ideologien in Amerika und in Europa ähneln sich. Und jetzt kommen auch noch die Staats-Populisten von der Union?
Die Kanzlerin könnte sich dazu äußern. Stattdessen hat sie angekündigt, einen Ausschuss aus Staatssekretären einzurichten. Merkel ist in ihrer Politik des Wartens unbeirrbar. Diesmal wartet sie darauf, dass Kreuth vorübergeht und die Europawahl und dass die Schwellungen der CSU abklingen.
Typische Straßenszene in einer CSU-Bayerisch-Teutschen Kleinstadt - nach Zuzug der Gäste aus Bulgarien und Rumänien .... |
Und währenddessen erinnert die Grusel-Folklore aus dem konservativen Dämmerstübchen der CSU daran, welcher politische Bodensatz immer noch in der Union schlummert und jederzeit zu wecken ist.
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siehe unbedingt auch: http://nunchic.blogspot.de/2013/12/bild-apo-das-fingerhauen-im-konglomerat.html