impuls zum tag:
Dem Zweck entkommen - den Sinn finden ...
Ja - das sagt man oft so dahin: "Der Zweck heiligt die Mittel" - oder auch: "Und wofür soll das gut sein?" - "Was hab ich jetzt davon?" - Und in der Pädagogik werden oft die "Grobziele", "Nahziele", "Fernziele" definiert und Schritte dorthin "folgerichtig" festgelegt: All unser Tun, Streben und Bedenken soll so seinen Zweck haben, soll möglichst "effizient" sein: Aber mit dem eigentlichen "Leben" und dem "Glauben" hat diese Eichung auf ein "Ergebnis" hin wenig zu tun... Das Individuum selbst hat zumeist wenig von diesen fremdgesteckten Zielen: Es wird für die prompte Ausführung gelohnt - aber eine "persönliche Lebensentwicklung" findet so kaum statt...
Die gesamte Schul- und "Lernen-fürs-Leben"-Landschaft ist somit "zweckmäßig" ausgerichtet - aber das, was das eigentliche "Leben" ausmacht: "Müßiggang", Meditation, "In-den-Tag-hineinleben": was dann im Rentenalter - vielleicht noch so knappe ca. 5 - 25 Lebensjahre - Lebensinhalt sein kann ... wird nicht gelehrt ...Aber - von Jesus ist uns folgende Predigt
überliefert in Matthäus 6,19-34 (BigS):19 Häuft nicht auf der Erde Schätze für euch an, wo Motten und Rost sie vernichten, wo eingebrochen und gestohlen wird.
20 Häuft vielmehr im Himmel Schätze für euch an, wo weder Motten noch Rost sie vernichten, wo weder eingebrochen noch gestohlen wird.
21 Denn wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein.
22 Die Leuchte des Körpers ist das Auge. Wenn nun dein Auge klar und aufrichtig ist, wird dein ganzer Körper von Licht erfüllt sein.
23 Aber wenn dein Auge missgünstig ist, wird dein ganzer Körper von Finsternis erfüllt sein. Wenn nun das Licht in dir Finsternis ist, wie groß ist die Finsternis!
24 Niemand kann zwei Mächten dienen. Ein Mensch wird immer die eine vernachlässigen und die andere lieben, oder an der einen hängen und die andere gering achten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Geld.
25 Deswegen sage ich euch: sorgt euch nicht ängstlich um euer Leben, was ihr essen oder was ihr trinken sollt, auch nicht um euren Körper, was ihr anziehen sollt. Ist nicht das Leben viel mehr als das Essen, der Körper viel mehr als Kleidung?
26 Seht euch die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht und ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen – und Gott, Vater und Mutter für euch im Himmel, ernährt sie. Sollte es bei euch so viel anders sein?
27 Könnt ihr euren Lebensweg auch nur um eine kurze Strecke verlängern, wenn ihr euch Sorgen macht?
28 Und was sorgt ihr euch um Kleidung? Betrachtet die Blumen auf den Feldern, wie sie sich entfalten. Sie mühen sich nicht ab und sie spinnen nicht.
29 Und ich sage euch: Nicht einmal Salomo in all seiner Pracht war schöner gekleidet als eine dieser Feldblumen.
30 Wenn aber Gott selbst die Gräser auf dem Feld so kleidet, die heute da sind und morgen in den Ofen geworfen werden – warum fehlt euch dann das Vertrauen, dass Gott umso mehr für eure Kleidung sorgt?
31 So hört nun auf, euch zu sorgen und ängstlich zu fragen: Was haben wir zu essen? Oder: Was haben wir zu trinken? Oder: Was haben wir anzuziehen?
32 Auf all dies richten die Menschen der Völker ihren Sinn. Gott, Vater und Mutter für euch im Himmel, weiß ja, dass ihr dies alles braucht.
33 Sucht zuerst die gerechte Welt Gottes, und dies alles wird euch geschenkt.
"Der Sinn des Glaubens liegt im Zwecklosen", schreibt Matthias Drobinski von SZ.de in nachfolgendem Artikel - aber mit dem Glauben gewinnt man "Sinn"... - Aber für "Sinn" kann man sich in dieser Welt eben nichts kaufen ... Und diese Erkenntnis hat in dieser zweckgerichteten und algorithmengesteuerten Welt zur Ausbeutung der Menschen durch den Menschen immer weniger seinen "legitimen" Platz ... Und die so dahingesagten Sätze: "Hast Du was - bist Du was" ... - und "Von Nichts kommt nichts..." müssen im Licht des Glaubens mit vielen Fragezeichen versehen werden ...34 Also, sorgt euch nicht um morgen, denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen. Es reicht, wenn jeder Tag seine eigene Belastung hat.
Und darum möchte ich hier diese Gedanken aus einem Artikel von Matthias Drobinski | SZ.de | zum Katholikentag in Regensburg wiedergeben...
Moderner Glaube
Warum Religion gut tut -
Dem Zweck entkommen - den Sinn finden
Therapeuten, Mediziner, Hirn- und Sozialforscher sagen: Glauben tut gut. Wer fromm ist, lebt gesünder, wiegt weniger und hat einen niedrigeren Cholesterinspiegel als Ungläubige. Der Glaube als Teil der Wellness- und Fitness-Bewegung? Eine gruselige Vorstellung.
Gedanken aus einem Artikel von Matthias Drobinski | SZ.de | zum Katholikentag in Regensburg
Und jetzt ist sie da, diese unglaubliche Hoffnung, die Gewissheit: Ich muss den Saum seines Gewandes berühren, dann wird alles gut. Sie schafft es, den Zipfel der Verheißung zu packen. Sie spürt die Kraft und weiß: Sie ist geheilt. Sie spürt diese Kraft so sehr, dass auch dieser Jesus sie spürt, der da ohne Heimat durch die Gegend zieht und von einem Vater im Himmel erzählt. Er dreht sich um. Sie erzählt ihm, zitternd, ihre Geschichte. Er sagt: "Dein Glaube hat dir geholfen."
Der Glaube hilft der blutflüssigen Frau, hilft Besessenen, Blinden, Aussätzigen, und das nicht erst im Himmelreich, sondern jetzt, hier und sofort. Wer glaubt, wird erlöst vom Leid, manchmal jetzt, spätestens im Tod - davon ist man in Kirchenkreisen jahrhundertelang überzeugt.
Doch dann ist die Aufklärung solchen Wundergeschichten auf den Leib gerückt. Und die Psychologie hat im 19. Jahrhundert die Gegenthese aufgestellt: Der Glaube macht krank. Er zwingt die Menschen in Angst und falschen Gehorsam, und jene Neurosen, die nicht die prüden Eltern verursacht hatten, gehen sicher auf die moralisierenden und leibfeindlichen Kirchen zurück. 1976 schrieb der Psychotherapeut Tilmann Moser über die religiöse Neurose und die Depression, die aus der Vorstellung vom strafenden Gott entsteht, dem es der Mensch nie recht machen kann - er prägte den Begriff "Gottesvergiftung".
Doch ausgerechnet jetzt, wo die Leute in Scharen aus den Kirchen austreten, die Christen nicht nur in Ostdeutschland zur Minderheit werden, sagen die Therapeuten, Mediziner, Hirn- und Sozialforscher: Glauben tut tatsächlich gut: Wer fromm ist, lebt gesünder, wiegt weniger und hat einen niedrigeren Cholesterinspiegel als der Ungläubige, und außerdem ein stabileres Immunsystem. Er muss deshalb seltener ins Krankenhaus, und wenn, ist er schneller wieder draußen. Er ist häufiger zufrieden mit seinem Leben, lebt in stabileren Beziehungen, hat mehr Freunde und Bekannte als der, dem der liebe Gott egal ist. Er ist mit größerer Wahrscheinlichkeit Vereinsmitglied und sozial engagiert und mit geringerer Wahrscheinlichkeit ein Neonazi. Mehr als 1200 Studien soll es mittlerweile geben, die dies alles bestätigen, und auch Tilmann Moser hat seine These von der Gottesvergiftung relativiert: Eine reife Religiosität hilft im Leben, und sei es als Krückstock, auf den man sich stützen kann, wenn der Gang durchs Leben schwer fällt.
Religion hilft. Das ist schön, das ist gut und wird zu selten gesagt im Zeitalter der Kirchenskandale. Aber das reicht nicht, und je länger man darüber nachdenkt, desto größer wird das Unbehagen. Beten und Meditieren hilft dem Immunsystem - so wie rechtsdrehender Joghurt der Darmflora oder Krankengymnastik dem lädierten Knie? Der Kirchgang am Sonntagmorgen dient dem Wohlbefinden wie Schwimmen und Sauna am Samstagnachmittag? Ja - ist der Glaube jetzt Teil der Wellness- und Fitness-Bewegung geworden?
Das ist eine gruselige Vorstellung. Religion wird zum Zweck, zur spirituellen Badewanne. Und wem es hinterher nicht besser geht, wer immer noch Fragen hat, wem der Zweifel ein hartnäckiger Begleiter bleibt- der hat was falsch gemacht, hat die geforderte Leistung nicht erbracht. Wer nicht geheilt von dannen geht, wer weiterhin Sorgen hat und ratlos vor seinem Leben steht, hat nicht richtig geglaubt. Hinter dieser Vorstellung steht die religiös gewordene Drohung der Positive-Thinking-Ideologie: Sieh es positiv - oder geh in deinem Pessimismus zugrunde: Entweder - Oder - statt: Sowohl - als auch ...
Den Glauben als Wellnessangebot zu sehen, als Lebensbewältigungsgarantie - das ist nicht besser als die Obrigkeit, die im 19. Jahrhundert davon ausging, dass eine ordentliche Religion tausend Polizisten spart. Es macht den Glauben zum Zweck. Doch dann verliert dieser Glaube, was ihn ausmacht: Er ist nicht mehr Ahnung des Paradieses. Er erzählt nicht mehr von der anderen Seite, vom fremden Gott so wenig wie von dem Gott, der einem näher ist als der innerste aller Gedanken. Der Glaube ist nicht mehr frei und macht nicht mehr frei. Er verliert seine Transzendenz und tritt seinen Dienst an, im Namen der Obrigkeit, des Gemeinwesens, der Volksgesundheit, und liegt im Apothekerschrank ...
Aber dann hilft er auch nicht mehr und macht auch nicht mehr gesund. Die Meditation entfaltet dann ihre größte Kraft und ihren "Segen" vor allem dann, wenn sie nicht zielgerichtet eingesetzt wird, wenn sich nicht einer niedersetzt und sagt: Jetzt muss es mir aber, verdammt noch mal, bald besser gehen - Forscher haben diesen Effekt bei Buddhisten wie bei Christen beobachtet. Der Glaube ist zwecklos, und wer ihn verzwecken will und benutzen, zerstört ihn, ob er Politiker ist oder Therapeut oder Bischof.
An der heiligsten Stätte für Juden verharrte der Papst in stiller Einkehr und steckte einen Zettel in eine der Ritzen zwischen den Quadern. (nach einem Bild von: nzz/ch | Keystone / AP) |
Dem Zweck entkommen - den Sinn finden
Der Sinn des Glaubens liegt im Zwecklosen. Er setzt allen menschlichen Zwecken Grenzen, allen Taten, Plänen, Maßstäben und Vorstellungen. Das Gebet von Papst Franziskus an der Mauer zwischen Israel und Palästina und am Denkmal für die Ermordeten des Terrors war zwecklos: Einen Friedensplan für den Nahen Osten bringt das nicht. Aber es hat seinen Sinn, weil es den Herren Netanjahu und Abbas die Grenzen ihres Handelns zeigt. Wer meditiert und sich ins Gebet versenkt, entkommt dem Zweck und findet den Sinn. Der Gläubige kann sich in seinen Nöten und Ausweglosigkeiten vor seinen Gott werfen und den Fall an die höchste Instanz abgeben: Mach du was draus. Das ist zwecklos, aber nicht sinnlos.
Dem Zweck die Grenzen zeigen, sich selbst nicht die letzte Instanz sein müssen - und dürfen: Das sind die Gaben des Glaubens an die Gläubigen und an die ganze Gesellschaft. Es ist die Kraft des Transzendenten, die verhindert, dass der Mensch zum Objekt des Menschen wird, ob bei der Embryonenforschung, der Wirtschafts- und Flüchtlingspolitik. Zu glauben heißt, sich vor Gott werfen können, in geradezu anarchischer Pose: Du kannst die Herrschaft abgeben. Du musst nicht mehr alles kontrollieren, besser machen, richtig machen. Du kannst Mensch sein mit allen Fehlern.
Welch eine erleichternde Vorstellung: Der Glaube schlägt dem ganzen Selbstoptimierungsgewese ein Schnippchen. Das kann man gar nicht laut genug feiern...
Matthias Drobinski
Studium Geschichte, katholische Theologie und Germanistik in Gießen und Mainz; Hamburger Journalistenschule, Redakteur bei Publik-Forum, Zeitung kritischer Christen, seit 1997 bei der Süddeutschen Zeitung.